„Teachers’ Beliefs“: Inklusionsbezogene Überzeugungen von angehenden Lehrkräften hinsichtlich eines gemeinsamen Unterrichts

Inclusion-related future teachers’ beliefs regarding joint teaching

Autor/innen

  • Annika Endres Universität Koblenz-Landau
  • Björn Risch Universität Koblenz-Landau
  • Marie Schehl Universität Koblenz-Landau
  • Philip Weinberger Universität Koblenz-Landau

DOI:

https://doi.org/10.21248/qfi.31

Schlagworte/Keywords

Inklusion, Professionalisierung, Teachers’ Beliefs, Lehramtsausbildung, Inclusion, Professionalization, Teacher Training

Zusammenfassung

Professionelle Kompetenz gilt als zentrale Handlungsressource unterrichtlichen Handelns. Berufsbezogene Überzeugungen und Werte (beliefs) können dessen Qualität maßgeblich beeinflussen und sind Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen. Eine Vielzahl von Forschungsvorhaben präzisieren den gewählten Beliefbegriff hinsichtlich fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer oder (sonder)pädagogischer Fragestellungen. In dem vorliegenden Beitrag wird zunächst unser Begriffsverständnis von professioneller Handlungskompetenz, Inklusion und Teachers’ Beliefs theoretisch begründet. Von diesen Betrachtungen ausgehend, wird das Forschungsdesign einer qualitativen Studie abgeleitet, welches die inklusionsbezogenen Überzeugungen von angehenden Lehrkräften hinsichtlich eines gemeinsamen Unterrichts beschreibt sowie Implikationen für die Hochschullehre aus Studierendenperspektive ermöglicht. Die Ergebnisse geben Aufschluss über das Heterogenitätsverständnis von Lehramtsstudierenden der Regelschule, deren vorherrschenden Rollenbildern und ideellen Überzeugungen zu inklusivem Unterricht. Sie skizzieren außerdem hochschuldidaktische Maßnahmen, welche aus Studierendenperspektive einen Beitrag für die Vorbereitung im Unterricht inklusiver Klassen leisten können. Konsequenzen, die sich aus unserer Sicht für die Ausbildung von Lehramtsstudierenden ergeben, werden mit Fokus auf die Entmystifizierung inklusionsbezogener Überzeugungen diskutiert.

Abstract

Professional competence is regarded as a central resource for teaching action. Job-related beliefs and values (beliefs) can significantly influence its quality and are the subject of numerous empirical studies. Research projects in various fields of educational science specify the chosen concept of belief with regard to scientific, didactic or (special) pedagogical questions. In this article, our understanding of the concepts of professional competence, inclusion and the teacher belief is first theoretically justified. Based on these considerations, the research design of a qualitative study is derived, which allows to describe the inclusion-related future teachers' beliefs regarding joint teaching as well as implications for higher education teaching from the student perspective. The results provide information about the heterogeneity of students in mainstream schools, prevailing role models, and ideological ideas about inclusive teaching. They also outline university didactic measures which, from a student perspective, can contribute to the preparation of inclusive classes. Consequences which, in our view, arise for the training of student teachers are discussed with a focus on demystifying inclusion-related convictions.

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Veröffentlicht

2020-07-23

Einleitung

Die Heterogenität innerhalb von Lerngruppen spiegelt die zunehmende Vielfalt unserer Gesellschaft. Ausgehend von einem breiten Heterogenitätsverständnis gilt es, diese Vielfalt der Schülerschaft als Grundlage unterrichtlichen Handelns anzuerkennen. Lehrer*innenbildung trägt seit dem Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 die „…Verpflichtung, Studierende aller Lehrämter auf die sich rapide verändernde Schullandschaft und damit den Unterricht in heterogenen Lerngruppen vorzubereiten“ (Amrhein, 2011). Angehende Lehrkräfte müssen für einen inklusionssensiblen Unterricht vorbereitet und beim Erwerb der dazu benötigten professionellen Kompetenzen unterstützt werden. Dabei stellt sich die Frage, welche professionellen Kompetenzen für einen gemeinsamen Unterricht in heterogenen Lerngruppen benötigt werden und mit welchen Überzeugungen (beliefs) diese Kompetenzen im inklusiven Unterricht verbunden sind (Moser & Kropp, 2015). Beim Umgang mit Heterogenität stellen Überzeugungen zentrale Wirkfaktoren in lehramtsspezifischen Aus- und Fortbildungssituationen dar (Kopp, 2009). Diese gilt es, bei der Konzeption entsprechender hochschuldidaktischer Interventionen zu berücksichtigen. Im Rahmen dieses Beitrags werden anhand von Gruppendiskussionen inklusionsbezogene Überzeugungen von angehenden Lehrkräften (Grundschule, Realschule Plus und Gymnasium) hinsichtlich eines gemeinsamen Unterrichts in heterogenen Lerngruppen aufgezeigt. Die Beschreibung dieser Überzeugungen erfolgt dabei deskriptiv auf expliziter Ebene, ohne den Anspruch auf eine Rekonstruktion selbiger. Ausgehend von den in Kapitel 3.1 vorgestellten Fragestellungen werden vier inhaltliche Facetten von Überzeugungen seitens der Studierenden beschrieben und daraus mögliche Konsequenzen für die Lehrer*innenbildung abgeleitet. [1]

Inklusionsbezogene Teachers’ Beliefs

Beliefs im Kontext professioneller Kompetenz von Lehrkräften

Professionelle Kompetenzen werden als „zentrale Handlungsressource für das unterrichtliche Handeln“ (Harms & Riese, 2018, S. 285) verstanden und stehen entsprechend im Fokus der Lehr- und Unterrichtsforschung (vgl. Bromme, 2008; König, Darge, & Schreiber, 2012; Weinert, Schrader, & Helmke, 1990). Das Ziel professioneller Lehrerkompetenzen ist es, durch pädagogisch-didaktisches Handeln Schülerinnen und Schüler (S*S) dabei zu unterstützen, fachliche und überfachliche Bildungsziele zu erreichen (Reusser & Pauli, 2011). Die Frage, welche individuellen Eigenschaften Lehrkräfte für die Bewältigung dieser Aufgabe benötigen, wurde im Rahmen der COACTIV Studie untersucht. Das hierbei generierte Modell professioneller Handlungskompetenz untersuchte vornehmlich Kompetenzbereiche für das Fach Mathematik und zeichnete sich durch eine Kombination aus motivationalen Orientierungen, selbstregulativen Fähigkeiten, Professionswissen sowie Überzeugungen aus (Kunter et al., 2011). Diese Bereiche lassen sich, zusammenfassend nach Baumert & Kunter (2006) und Kunter et al. (2011), folgendermaßen skizzieren: Motivationale Orientierungen gelten als ein Prädiktor für die Qualität von Unterricht und sind eng mit der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit von Lehrkräften verknüpft. Selbstregulation beschreibt den achtsamen Umgang mit persönlichen Ressourcen und damit die psychische Belastbarkeit einer Lehrkraft. Das Professionswissen ist domänenspezifisch und setzt sich aus deklarativem, prozeduralem sowie strategischem Wissen zusammen. Eine Unterscheidung erfolgt in die Dimensionen pädagogisches Wissen, Fachwissen, Fachdidaktisches Wissen sowie Organisations- und Beratungswissen. [2]

Neben beruflichen Wissensmerkmalen und motivationalen Aspekten wird die Qualität professionellen Lehrer*innenhandelns auch durch berufsbezogene Überzeugungen und Werte (beliefs) beeinflusst (Reusser & Pauli, 2011). Diese wirken sich einerseits auf die Auswahl von Zielen und Handlungsplänen sowie die Wahrnehmung und Deutung von Situationen, andererseits auch auf didaktische und kommunikative Gestaltungsprozesse im Unterricht aus (König, 2012; Philipp, 2007). „Beliefs“ stellen ein „messy construct“ (Pajares, 1992) oder „fuzzy concept“ (Pehkonen & Pietilä, 2003) dar, dem aktuell keine konsensuelle Definition zugrunde liegt (Reusser & Pauli, 2011). Obgleich seit Anfang der 2010er verschiedene Klärungsvorschläge erarbeitet wurden (Corte, Op't Eynde, Depaepe, & Verschaffel, 2012; Fives & Buehl, 2012; König, 2012), besteht bis dato keine einheitliche und trennscharfe Unterscheidung zu angrenzenden Konzepten (Bsp. Wissen, Werte, motivationale Orientierung) (Dubberke, Kunter, McElvany, Brunner, & Baumert, 2008; Pajares, 1992). Die Vielfalt an Bestimmungen begründet sich dabei in der jeweiligen theoretischen Rahmung des Forschungsprojektes (Dubberke et al., 2008; Kuhl, Moser, Schäfer, & Redlich, 2013). Als theoretische Rahmungen fungieren beispielsweise Persönlichkeitstheorien, Verhaltenstheorien oder Untersuchungen zu Werthaltungen, Einstellungen und Motivationen (Blömeke, Müller, Felbrich, & Kaiser, 2008; Hofmann & Gottein, 2011; Sang, Valcke, van Braak, & Tondeur, 2009). Von diesen Rahmungen ausgehend unterscheiden sich die Begriffsbestimmungen erstens nach der Art und Weise, nach der die beliefs entwickelt wurden (erfahrungs-/erkenntnis-/informationsbezogen) (Kuhl et al., 2013). Zweitens variieren die Bereiche, auf die sich die beliefs beziehen (Bsp. Vertrauen, Abhängigkeit zu anderen Überzeugungen) (Leder, Pehkonen, & Törner, 2002; Pehkonen & Pietilä, 2003) und in welcher Beziehung sie zu Wissensbeständen stehen (Reusser & Pauli, 2011). So unterscheiden etwa Kunter et al. (2011) und Blömeke (2012) zwischen beliefs und Wissen, demgegenüber betrachten Woolfolk Hoy, Davis & Pape (2006) beide Aspekte als miteinander verflochtene Konstrukte. Philipp (2007) hingegen versteht Wissen als besondere Art von beliefs. Im Modell zur professionellen Handlungskompetenz beschreiben Baumert und Kunter (2006) beliefs als Form von Überzeugungen. Nach diesem Verständnis grenzen sich Überzeugungen von Wissensbeständen durch unterschiedliche epistemologische Erkenntnis- und Interpretationsprozesse ab. Die Übergänge zwischen diesen Prozessen lassen sich jedoch nicht eindeutig festlegen, sondern gestalten sich fließend (Baumert & Kunter, 2006, S. 496). Wir folgen in unserer Arbeit dieser Auffassung und legen den Fokus auf die subjektiven Theorien über das Lehren und Lernen. Diese Theorien umfassen alle Annahmen von Lehrkräften über Lehr- und Lernprozesse, die Struktur und Inhalte der Lernangebote, Zielvorstellungen des Unterrichts, Wahrnehmung und Deutung von Unterrichtssituationen, Erwartungen an S*S sowie professionelles Lehrerhandeln (Baumert & Kunter, 2006, S. 499). [3]

Im Hinblick auf Migrationsbewegungen, heterogene Lebensumstände und die Ratifizierung der UN-BRK stellt sich nun die Frage nach einer inklusionsbezogenen Präzisierung des Beliefbegriffs. Neben strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen wird die Akzeptanz heterogener Unterrichtssituationen und die Qualität von Lehr- und Lernprozessen maßgeblich durch die Lehrkraft bestimmt (Helmke, 2007; Lipowsky & Bleck, 2019). Als wesentliche Bestandteile professioneller Handlungskompetenz von Lehrer*innen stellen beliefs zentrale Wirkfaktoren des Umgangs mit Heterogenität in lehramtsspezifischen Aus- und Fortbildungssituationen dar (Kopp, 2009). Im Kontext der Unschärfe des Konzepts untersucht die vorliegende Studie inklusionsorientierte Überzeugungen von Lehramtsstudierenden der allgemeinen Schule (Lehramt Grundschule, Realschule Plus und Gymnasium) sowie Möglichkeiten der hochschuldidaktischen Gestaltung inklusionsorientierter Maßnahmen. [4]

Im folgenden Kapitel wird dieses Verständnis von Überzeugungen im Sinne von subjektiven Theorien über das Lehren und Lernen in den Kontext inklusiver Bildungs- und Lernprozesse übertragen. [5]

Inklusionsbezogene Überzeugungen

Inklusiver Unterricht und inklusionsbezogene Überzeugungen

Die Ausbildung von angehenden Lehrkräften in inklusiven Settings vollzieht sich im Hinblick auf zwei zentrale strukturelle Veränderungen (Moser, Schäfer, & Redlich, 2011): Erstens ist mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) durch die EU im Jahr 2009 die Zielsetzung verbunden, die Lebens-, Lern- und Entwicklungsbedingungen von Menschen mit Behinderung zu verbessern und eine gleichberechtigte Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen (Ahrbeck, 2016). Die Realisierung dieses Anspruchs steht zweitens in Verbindung zu Strukturveränderungen in der Schullandschaft und der Schülerschaft seit Mitte der 1970er Jahre (Moser et al., 2011). Damit verbundene Modellversuche der Beschulung von Kindern mit Behinderung führten zu Fragen der Veränderung des Unterrichts und Folgen für die Ausbildung von Lehrkräften. [6]

Als zentrale Qualitätsmerkmale der Veränderung des Unterrichts mit Bezug auf Inklusion verweisen Studien auf eine effiziente Klassenführung und Nutzung von Zeitressourcen, ein lernförderliches Klima, eine motivierende und vielfältige Aktivierung der S*S sowie eine Klarheit und Strukturiertheit in der Unterrichtsdurchführung (Feyerer, 2009; Geiling, Liebers, & Prengel, 2012; Moser & Redlich, 2011). Der Unterricht sollte an den S*S orientiert sein, das heißt eine individuelle Rückmeldung und Förderung enthalten. Die dafür bereitgestellten Angebote sollten hinsichtlich ihrer Aufgaben, Methoden und Lernformen variieren und kooperative Lernprozesse ermöglichen. Dies kann gelingen, indem Lernprozesse der S*S diagnostisch und kompetenzorientiert begleitet werden. [7]

In Bezug auf Lehrer*innenbildung sollten angehende Lehrkräfte in der Entwicklung bestimmter professioneller Kompetenzen begleitet werden (Moser et al., 2011). Diese Kompetenzen werden benötigt, um bestimmte pädagogische und didaktische Präventions- und Unterstützungsmaßnahmen in einem inklusiven Unterricht bereitstellen zu können (ebd.). Dabei stellt sich die Frage, welche allgemeinen und spezifischen Kompetenzen im inklusiven Unterricht konkret benötigt werden und mit welchen Überzeugungen diese Kompetenzen in inklusivem Unterricht verbunden sind (Moser & Kropp, 2015). Inklusive Überzeugungen von Lehrkräften könnendabei alsÜberzeugung gegenüber der Anpassung von Schule und Unterricht an die Bedürfnisse aller S*S verstanden werden (Kopp, 2009, S. 7). Diese Anpassung zielt auf eine Inklusion aller S*S ab und beschränkt sich nicht nur auf die Differenzlinie Gesundheit und Behinderung. Ein Blick auf die nun anschließenden Studien zu inklusionsbezogenen Überzeugungen zeigt jedoch, dass die Heterogenitätsdimension „Behinderung“ teilweise im Mittelpunkt dieser Studien steht. Obgleich die Studien von uns zitiert werden, bleibt die Berücksichtigung möglichst aller Differenzlinien in unserem Verständnis von inklusionsbezogenen Überzeugungen weiter bestehen. [8]

Forschungsstand zu Überzeugungen in inklusiven Settings

Im Diskurs um inklusionsbezogene Überzeugungen im Bereich der Lehrer*innenbildung, der empirischen Unterrichtsforschung und der Didaktik (Reusser & Pauli, 2011, S. 649) lassen sich drei zentrale Gegenstandsbereicheausmachen. Im Hinblick unseres Verständnisses von inklusionsbezogenen Überzeugungen werden im Folgenden Studien zu inklusionsbezogenen Lerninhalten und -prozessen, speziellen Kompetenzen sonderpädagogischer Lehrkräfte sowie personenbezogenen Lernprozessen hinsichtlich Lehrer*innen und S*S rezipiert. [9]

Studien zu epistemologischen Überzeugungen über Lerninhalte und -prozesseuntersuchen Überzeugungen, die sich auf Lehr-Lernprozesse, genaue Wissens- und Erkenntnisinhalte einzelner Fachgebiete (Bsp. Mathematik) und Lerngegenstände sowie deren Modi des Erkennens und Lernens beziehen. Insgesamt ist die empirische Untersuchung von beliefs von Lehrkräften der allgemeinen Schule, besonders von Mathematiklehrer*innen (Blömeke et al., 2008; Kuhl et al., 2013), besser entwickelt als jene von Förderschullehrer*innen (Kuhl et al., 2013). Studien belegen, dass der Einsatz von inklusiven Lehr- und Lernprozessen im Unterricht mit der Akzeptanz der Lehrkraft gegenüber Kindern mit Behinderung korreliert. Je höher die Akzeptanz der Lehrkraft gegenüber dieser Schülerschaft, desto häufiger werden Lehrkonzepte verwendet, die die Bedürfnisse aller S*S im Unterricht berücksichtigen (Bender, Vail, & Scott, 1995). Nimmt die Lehrkraft eine positive Haltung gegenüber S*S mit Einschränkungen ein, so überträgt sich diese Haltung zudem auch auf die Haltung von S*S ohne Einschränkung (Bender et al., 1995). [10]

Im Hinblick auf die Frage nach der Zuständigkeit der sonderpädagogischen Lehrkraft im gemeinsamen Unterricht stellt sich die Frage, was die spezielle Kompetenz,das Charakteristische sonderpädagogischer Lehrkräfte darstellt. Dies wurde durch Moser (2003) rekonstruiert: Sonderpädagogische Lehrkräfte zeichnen sich durch eine sogenannte „Dialogische Haltung“ (Moser, 2003) aus, die Sinn unter bestimmten, durch Bedingungen von Behinderung oder einer Beeinträchtigung erschwerten Lebensbedingungen, stiften möchte (Kuhl et al., 2013). Als sonderpädagogische Aufgaben in inklusiven und exklusiven Settings werden unter anderem die Lernstands- und Entwicklungsdiagnostik, Beratungs- und Organisationskompetenz, Lern- und Entwicklungsförderung, binnendifferenzierter Unterricht, bedarfssensible Kommunikation, interdisziplinäre Kooperation und Förderung des sozialen Lernens beschrieben (Moser, Schäfer, & Jakob, 2010). Im Hinblick auf Kompetenzen wiesen Moser und Kropp (2015) nach, dass Lehrkräfte der allgemeinen Schule in inklusiven Settings stärker im Klassenunterricht tätig sind. Förderschullehrkräfte hingegen befassen sich eher mit der individuellen Förderung der S*S. Diese findet dabei zumeist außerhalb des Klassenunterrichts statt. Weitere Aufgabenbereiche wie Beratung, Diagnostik und Kooperation sind nahezu gleich unter den Lehrkräften verteilt. Dabei wird die Kooperation meist unter den Lehrkräften im Sinne eines „einer unterrichtet, einer assistiert“-Prinzips aufgeteilt (Arndt & Werning, 2013; Moser & Kropp, 2015). [11]

Studien zu personen- und inklusionsbezogenen Überzeugungen untersuchen die professionsbezogene Selbstwahrnehmung sowie schülerbezogene Überzeugungen und implizite Persönlichkeitstheorien der Lehrer*innen. Hinsichtlich der professionellen Selbstwahrnehmung wurden unter anderem die Wahrnehmung der Lehrerrolle, Überzeugungen zur Lehrer*innenbildung und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in inklusiven Settings analysiert (Gasterstädt & Urban, 2016; Kopp, 2009; Ross, 1995). Weiter liegen Studienergebnisse zu Schülerkategorisierungen und durch Stereotype oder Behinderungen geprägte Schülerwahrnehmungen vor (Kopp, 2009). Ruberg und Porsch (2017) bemerkten in ihrem Review, dass der Großteil der von ihnen rezipierten Studien ein weites Inklusionsverständnis beschreibt. Dabei begrenzt sich das beschriebene Inklusionsverständnis auf den gemeinsamen Unterricht von S*S mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf (Ruberg & Porsch, 2017, S. 409). Unterschiede hinsichtlich inklusionsbezogener Überzeugungen ergeben sich bei Studierenden durch ihre Praxiserfahrung, den studierten Schulschwerpunkt sowie die Art der Einschränkung der S*S: Lehramtsstudierende stehen der inklusiven Beschulung von Kindern mit Behinderung positiver gegenüber, wenn sie bereits Praxiskontakte zu Menschen mit Behinderung geknüpft haben (Forlin, Sharma, & Loreman, 2007). Weiter wirkt sich der studierte Schulschwerpunkt auf ihre inklusive Haltung gegenüber der Integration von Menschen mit Behinderung aus. Scholz und Rank (2015) wiesen nach, dass Studierende des Lehramts an Förderschulen die Beschulung von Menschen mit geistigen Behinderungen positiver bewerten als jene des Lehramts an Grundschulen. Grenzen der inklusiven Beschulung ziehen sowohl Studierende des Lehramts an Förderschulen als auch Studierende des Grundschullehramts bei sog. „Randgruppen der Inklusion“ (Fornefeld, 2010). Beide Studiengruppen schätzen die exkludierte Beschulung von S*S mit motorischen oder kognitiven Einschränkungen als günstiger ein (Scholz & Rank, 2015). Positivere Überzeugungen zeigen die Studierenden gegenüber einer gemeinsamen Beschulung von Kindern mit rein körperlichen Einschränkungen (Gebhardt et al., 2011). [12]

Studie: Inklusionsspezifische Überzeugungen von Lehramtsstudierenden

Fragestellung

Die vorliegende Studie beschreibt, welche Überzeugungen angehende Lehrkräfte zur gemeinsamen Beschulung von heterogenen Lerngruppen einnehmen. Diese zentrale Fragestellung wird im Hinblick auf folgende untergeordnete Fragestellungen betrachtet: [13]

  1. Auf welche Art und Weise beschreiben die angehenden Lehrkräfte einen gemeinsamen Unterricht in heterogenen Lerngruppen?

  2. Beschreiben die angehenden Lehrkräfte Grenzen eines gemeinsamen Unterrichts? Wie werden diese Grenzziehungen begründet?

  3. Auf welche Art und Weise beschreiben die angehenden Lehrkräfte ihre Rolle im gemeinsamen Unterricht? [14]

Der Beitrag begrenzt sich dabei auf eine deskriptive und explizite Beschreibung von Themen mit Bezug auf Inklusion durch angehende Lehrkräfte. [15]

Methode

Ein Blick auf bereits durchgeführte Studien im Bereich der (inklusiven) Teachers’ beliefs zeigt drei zentrale Strategien zur Erforschung inklusionsbezogener Überzeugungen von Lehrkräften (Reusser & Pauli, 2011): International vergleichende Surveys zur Professionellen Kompetenz von Lehramtsstudierenden (Blömeke, 2012; Blömeke, Suhl, & Döhrmann, 2012) oder Lehrkräften (Kunter et al., 2011) und deren Zusammenhänge mit Überzeugungen (Blömeke et al., 2008; Blömeke, 2012) (1), Zusammenhang von Überzeugungen und Lehrerhandeln und Effekten auf Schülervariablen (2) sowie Überzeugungen im Rahmen der Ausbildung, der professionellen Entwicklung und des lebenslangen Lernens (3). Im Rahmen dieser Forschungsansätze überwiegt der Anteil an qualitativen Befragungsmethoden (Fives & Buehl, 2012; Leuchter, 2009). In diesen Studien werden Interviews und Gruppendiskussionen sowie Dokumentenanalysen eingesetzt, um explizit und implizit vorhandene Überzeugungen zu rekonstruieren (Reusser & Pauli, 2011). Aus Gründen der Anschlussfähigkeit orientiert sich unser methodisches Vorgehen an diesen Forschungsdesigns. Als Erhebungsverfahren dienten Gruppendiskussionen. Im deutschsprachigen Raum gelten diese als etablierte Methode für explorative Studien (Przyborski & Riegler, 2010). Die Moderation erfolgte über einen halb-strukturierten Fragebogen, welcher sich an den beschriebenen Forschungsfragen orientierte. Eine geführte Moderation war notwendig, um die Diskussionen im zeitlichen Rahmen einer Seminarsitzung durchführen zu können (hierauf wird bei der Beschreibung der Stichprobe noch genauer eingegangen). Den strukturierten Charakter der Datenerhebung berücksichtigend wurde als Auswertungsverfahren ein inhaltsanalytisch-strukturierendes Ablaufschema einer qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) gewählt: Auf Basis der Forschungsfragen sowie des eingesetzten Fragebogens konnten durch dieses Verfahren Kernaussagen im Material markiert und durch Memos ergänzt werden. Von diesen Textarbeiten ausgehend wurden erste thematische Hauptkategorien an einem Teil des Materials herausgearbeitet, mit deren Hilfe das gesamte Material probeweise codiert wurde. Auf dieser Grundlage stellten wir alle Textstellen zusammen, die mit den gleichen Hauptkategorien codiert wurden, um hieraus Subkategorien abzuleiten. Das dabei ausdifferenzierte Kategoriensystem wurde erneut auf das gesamte Material übertragen. [16]

Stichprobe und Sampling

Bei den ausgewählten Proband*innen handelte sich um Lehramtsstudierende der Universität Koblenz-Landau am Standort Landau. Die Beteiligung an der Studie war freiwillig. Insgesamt wurden innerhalb eines Jahres drei Gruppendiskussionen durchgeführt. Zwei Gruppendiskussionen wurden mit Studierenden im laufenden Lehrbetrieb des Seminars „Vertiefende Fachdidaktik Chemie (VFD 1 und VFD 2)“ erhoben. Eine weitere Diskussion wurde mit Teilnehmer*innen des Zertifikates „Bildung-Transformation-Nachhaltigkeit (BTN)“ aufgezeichnet (Risch, Schehl, Weinberger, Köppen, & Blöcher, 2019). Die Teilnehmenden repräsentierten in ihrer Zusammensetzung einen Querschnitt der allgemeinen Schulformen (vgl. Tab. 1). Diese Eigenschaft stellte für uns das Auswahlkriterium dar. In ihren Studienverläufen erfuhren die Teilnehmenden zuvor keine fachliche Auseinandersetzung mit inklusiven Inhalten. Im Rahmen eines Pilotprojektes wurden die Studierenden der „Vertiefenden Fachdidaktik Chemie“ mit inklusionsspezifischen Inhalten konfrontiert, während Teilnehmer*innen des Zertifikates „Bildung-Transformation-Nachhaltigkeit“ ein Seminar mit vergleichbaren, inhaltlichen Schwerpunkten besuchten. Die Gruppendiskussionen fanden im Rahmen der abschließenden Reflexion über die Semesterinhalte statt. Aus den Seminaren beteiligten sich mindesten sieben und maximal zehn Studierende an einer Diskussion. Die Teilnehmer*innenzahl entspricht damit bei allen Diskussionen dem von Vogl (2014) formulierten Ideal von „sechs bis (…) maximal zwölf“ Proband*innen (S. 584). Die Diskurse dauerten durchschnittlich 50 Minuten und wurden von den Autor*innen moderiert. Hierbei wurden anhand eines halb-strukturierten Fragebogens vier distinkte Themen vorgegeben, die sich an den vorgestellten Forschungsfragen orientierten. Die Diskursaufzeichnung erfolgte auditiv. Transkribiert wurde nach dem vereinfachten Transkriptionssystem nach Dresing und Pehl (2018). [17]

Tabelle 1: Übersicht über die Verteilung der Proband*innen: Aufgeschlüsselt nach Gruppe (VFD 1 = Vertiefende Fachdidaktik Chemie (Kurs 1), VFD 2 = Vertiefende Fachdidaktik Chemie (Kurs 2), BTN = Zertifikat „Bildung-Transformation-Nachhaltigkeit"), Studiengang (M.Ed. = Master of Education, B.Ed. = Bachelor of Education) und Stichprobe
Gruppe Studiengang und Stichprobe
VFD 1 M. Ed. Realschule Plus; n = 2
M. Ed. Gymnasium; n = 8
VFD 2 M. Ed. Realschule Plus; n = 2
M. Ed. Gymnasium; n = 5
BTN B. Ed. Realschule Plus; n = 1
B. Ed. Grundschule; n = 3
M. Ed. Gymnasium; n = 3

Ergebnisdarstellung

Überzeugungen hinsichtlich der Anpassung von Schule und Unterricht an die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler

Verständnis von Heterogenität und Behinderung

Alle befragten Studierenden nutzen den Begriff „Heterogenität“. Ihre Antworten verweisen auf vielfältige Verständnisse des Begriffes. Einerseits wird Heterogenität sehr allgemein als Einzigartigkeit jedes*r einzelnen*er Schüler*in gefasst: „Gerade, wenn man an eine inklusive Schule kommt oder auch generell, man hat ja keine homogene Masse vor sich. Man hat ja Individuen und jeder lernt ja anders (…)“. B3, VFD 1. Andererseits wird diese Einzigartigkeit durch individuelle Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten oder Fertigkeiten wie Formen von Begabungen und Engagement, unterschiedliche Lerntempi, Altersunterschiede sowie sprachliche und körperliche Voraussetzungen beschrieben. Sofern sich aus dieser Einzigartigkeit Einschränkungen ergeben, ersetzen die Studierenden den Heterogenitätsbegriff durch jenen der Behinderung. Dabei unterscheiden die Studierenden einerseits, ob die Einschränkung im Kontext einer Situation bzw. eines Sachverhaltes stattfindet. Beispielsweise werden Kommunikationssituationen zwischen einer Lehrkraft und S*S beschrieben, in denen die Lehrkraft die Bedürfnisse ihrer S*S unzureichend wahrnimmt und auf diese unangemessen reagiert. Andererseits definieren die Studierenden den Behinderungsbegriff über „Krankheitsbilder“ wie Blindheit, Lernschwäche, Taubheit, Autismusspektrumsstörung“, psychische Erkrankungen ohne nähere Spezifizierung oder mögliche Sprachbarrieren aufgrund von Entwicklungsstörungen o­der Mehrsprachigkeit. [18]

Im Gegensatz dazu betonen die Studierenden die gemeinsame Beschulung von S*S mit körperlich-motorischen und ganzheitlichen Beeinträchtigungen als besonders herausfordernd. „Einfacher umsetzbar“ sei eine gemeinsame Beschulung von S*S mit sprachlich-kommunikativen Auffälligkeiten. Besonders positiv stehen die Studierenden der Beschulung von mehrsprachigen S*S gegenüber. [19]

Studentische Überzeugungen vom gemeinsamen Unterricht

Ein idealtypischer, gemeinsamer Unterricht ist nach den Überzeugungen der Studierenden an jede*n S*S angepasst. Diese Anpassung wird aus ihrer Sicht besonders in der Unterrichtsvorbereitung, Differenzierung und Classroom Management deutlich. [20]

Dabei betonten Studierende in jeder der drei Gruppendiskussionen, dass die Unterrichtsvorbereitung eines gemeinsamen Unterrichts mit einem Mehr an organisatorischem Aufwand innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers verbunden sei. Als besonders anspruchsvoll beschreiben die Studierenden die Planung der Unterrichtseinheiten für Kinder mit unterschiedlichen körperlichen Behinderungen. Um individuelle Anpassungen zu ermöglichen, sollten zuvor persönliche Strategien und Methoden durch viel Engagement und Zeit entwickelt werden. Eine zentrale Rolle in der Vorbereitung spielen ihrer Ansicht nach bereits bewährte inklusive Arbeitsweisen von Kollegen*innen. Diese empfohlenen Konzepte sollten in der eigenen Unterrichtsvorbereitung berücksichtigt werden. In allen Gruppendiskussionen merken die Studierenden an, dass sich gemeinsamer Unterricht ihrer Überzeugung nach von der zuvor geplanten Unterrichtsskizze unterscheiden kann. Daher sei dieser Unterricht im Vorfeld nicht vollständig planbar: „Also man kann vielleicht auch vorher was planen mit heterogenen Gruppen und man kann so viel über die Gruppe wissen, wie man will, aber letztendlich wird es glaub ich immer anders sein (…), denn nie wird eine Gruppe irgendwie gleich sein.“ B2, BTN. Aus Sicht der Studierenden könnten vor allem Praxiserfahrungen dabei helfen, sich auf den Umgang mit heterogenen Gruppen vorzubereiten. [21]

Unter Differenzierung fassen die Studierenden alle unterrichtlichen Maßnahmen, die auf die Leistung, Fertigkeiten und Fähigkeiten des jeweiligen Kindes angepasst sind. Als Beispiele solcher Differenzierungsmaßnahmen nennen die Studierenden die Erstellung von Arbeitsmaterialien mit Hilfe von Bildern und die Beachtung körperlicher Fähigkeiten von Kindern beim Durchführen von Spielen im Sportunterricht. Die Studierenden erleben Differenzierungsmaßnahmen zumeist im Rahmen von Schulpraktika. Während ihrer Praktika haben die Studierenden beispielsweise Stationsarbeiten mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade betreut oder Methoden und Arbeitsblätter für heterogene Leistungsgruppen kennengelernt. Die Studierenden betonen, dass im Rahmen ihrer Praxiserlebnisse Differenzierungsmaßnahmen zumeist von jüngeren Lehrer*innen genutzt werden: „Aber gerade so ältere Lehrer, die so ein bisschen eingesessen schon sind, so habe ich ein bisschen das Gefühl, äh ja. Fällt so ein bisschen hinten runter.“ B1, VFD 1. Besonderen Nutzen von Differenzierungsmaßnahmen sehen die Studierenden in den Bereichen „selbstorganisiertes Lernen“ und „Feedback zu individuellen Lernprozessen“. So könnten differenzierte Arbeitsmaterialien selbstgesteuerte Lernprozesse unter den S*S beispielsweise im Rahmen einer Stationenarbeit ermöglichen. Durch prozessbegleitendes, differenziertes Feedback würden die S*S zusätzlich in der Einschätzung ihrer Fähigkeiten begleitet und gestärkt. [22]

Aus Sicht der Proband*innen zielt ein inklusives Classroom Management auf eine Balance zwischen einer Förderung auf Einzel- und Klassenebene ab. Individuelle Unterstützungsmaßnahmen sollten so wenig transparent wie möglich gemacht werden, um eine Verbesonderung einzelner S*S zu verhindern: „Ja kommt immer drauf an, wie man das in der Klasse alles vornimmt. Wenn es irgendwie gut eingespielt ist oder so, am besten gar nicht auffällt, dass die Person gesonderte Hilfe benötigt.“ B3, BTN. Eventuell auftretende Exklusionstendenzen und Konflikte unter den S*S würden die Studierenden zunächst außerhalb des Klassenzimmers regeln. Anschließend sollte ein Konfliktgespräch in der Klasse erfolgen, in dessen Rahmen Lösungsansätze gemeinschaftlich erarbeitet würden. [23]

Zuständigkeiten von Lehrkräften der allgemeinen Schule

Eine wesentliche Aufgabe einer Lehrkraft der allgemeinen Schule (Grundschule, Realschule Plus und Gymnasium) sehen die Studierenden in der möglichst individuellen Betreuung der S*S. Aufgabe einer solchen Lehrkraft sei es, den unterrichtlichen Stoff so zu vermitteln, dass „er von allen verstanden wird“. Weiter sollten Lehrkräfte der allgemeinen Schule stets bemüht sein, ihr aktuelles Rollenbild zu hinterfragen und sich über aktuelle Entwicklungen in ihrem Berufsfeld zu informieren. Auf diese Weise könnten teilweise veraltete Denkmuster, beispielsweise hinsichtlich vermeintlich klassischer Aufgabenbereiche von Förderschullehrer*innen, überwunden werden: „Also es gibt dann auch wieder Leute, die sagen 'Das ist auf jeden Fall eine Aufgabe für den Sonderpädagogen. Ich befass mich da gar nicht mit' und deswegen wird das Kind dann vielleicht vernachlässigt. Allerdings denke ich dann auch wieder an Lehrer, die es zumindest in seiner Aufgabe sehen, sich immer wieder zu aktualisieren, was gerade die Themen sind und sich dann da rein lesen und das ist halt irgendwie. Man kann nicht jetzt was unterrichten, was vor fünfzig Jahren mal Thema war.“ B2, BTN. Grenzen ihrer Zuständigkeit in inklusiven Settings sehen die Studierenden in der Unterstützung von S*S mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten und schweren körperlichen und kognitiven Einschränkungen. Ebenso verhält es sich mit möglichen Medikamentierungen und der Pflege von S*S mit hohem Unterstützungsbedarf. Diesen Zuständigkeitsbereich sprechen die Studierenden ihren Kolleg*innen des Förderschullehramts zu, die hierfür benötigte Inhalte und Kompetenzen während der Ausbildung vermittelt bekämen: B3: „Aber letztendlich so richtige Grenzen (…) zwischen einem Regelschullehrer und Förderschullehrer. Ich frag mich immer so, bei den Medikamenten, in hygienischen Bereichen. Das ist immer so. Natürlich mhm. (…) // B4: Kann man das? Also // B2: Müsste der Lehrer dann nicht alles können?//“ BTN. [24]

Innerhalb der von uns durchgeführten Gruppendiskussionen entstand eine Kontroverse um die Zuständigkeiten und Aufgaben von Förderschullehrkräften (FöL) in inklusiven Settings. Nach Auffassung einiger Studierenden sei ein „gemischtes“ Lehrer*innenteam aus FöL und Lehrkraft der allgemeinen Schule im Rahmen eines Co-Teachings für eine individuelle Förderung aller S*S unabdingbar. Innerhalb des Teams sollten sich nicht beide Lehrer*innen um alle S*S „kümmern“. Vielmehr steuere die Lehrkraft der allgemeinen Schule die Wissensvermittlung, während die Förderschullehrkraft eine primär beratende und unterstützende Funktion einnehme. Als Gründe für diese Arbeitsteilung nennen die Studierenden ihre unzureichende Ausbildung im Hinblick auf heterogene Lerngruppen. Im Gegensatz dazu bringen Studierende des Förderschullehramts ein Mehr an behinderungsspezifischem, psychologischem Fachwissen und Erfahrung in der Differenzierung von Unterrichtsmaterialien mit: „Wenn man eine Regelschullehrkraft mit einer Förderschullehrkraft zusammen in den Unterricht bringen würde, weil wenn jetzt zwei Regelschullehrkräfte dann trotzdem das inklusive Kind betreuen müssen, dann sind vielleicht beide überfordert und so hat vielleicht einer eine Ahnung von dem, was er machen muss.“ B1, VFD 2. [25]

Überzeugungen hinsichtlich der Anpassung von Schule und Unterricht an die Bedürfnisse aller S*S im Kontext von Erfahrung, Emotionen und Bewertung in Bezug auf Heterogenität

Abschließend äußerten sich die Studierenden zu Chancen und Grenzen von Heterogenität in einem gemeinsamen Unterricht. Chancen durch Heterogenität ergeben sich nach Ansicht der Studierenden durch die Vermittlung der Werte von Vielfalt. Weiter könnten durch heterogene Lerngruppen „Ausnahmesituationen für die Klasse entstehen“. Diese bieten die Möglichkeit, sich gedanklich umzuorientieren und den Klassenzusammenhalt zu stärken. Grenzen bestehen für die Studierenden im Bereich der individuellen Förderung. Deren Umsetzung wird mit wachsender Klassengröße als zunehmend unrealistischer eingeschätzt. Zudem wird der erwartete Mehraufwand in der Unterrichtsvorbereitung, unflexible Stundenpläne, die Anforderungen einer standardisierten Notenvergabe sowie befürchtete Einbußen an didaktisch-methodischen Gestaltungsräumen als Hemmnis gesehen. [26]

Im Hinblick auf ihre Emotionen in Bezug auf Heterogenität nennen die Studierenden mehrheitlich Gefühle der Überforderung und Unsicherheit. Diese führen sie auf eine praxisferne Ausbildung zurück. In der konkreten Unterrichtssituation entstünden derartige Gefühle aufgrund offener Fragen in Bezug auf den Umgang mit Separationen, der Thematisierung von Behinderungen, Classroom Management sowie der Formulierung von differenzierten und zu benotenden Lernzielen. Zudem könne der jeweilige Schulstandortbeeinflussen, wie überfordernd eine heterogene Lerngruppe wahrgenommen werde: „Wenn man jetzt in so einer ländlichen Region ist (…) da kann man da vielleicht mit einem ganz anderen Gefühl reingehen als wenn man in so einer Brennpunktschule ist, wo man sowieso schon Angst haben muss, dass einem jede Stunde alles um die Ohren fliegt.“ B2, VFD 2. [27]

Erfahrungen im Umgang mit Heterogenitätmachten die Studierenden bisher im Rahmen ihrer eigenen Schulzeit oder während Schulpraktika. Als positive Erfahrungen im Umgang mit Heterogenität erläutern sie die Konzeption und Anwendung differenzierter Materialien. Weiter berichten sie von positiven Erfahrungen im Team Teaching und von Fallbeispielen, bei denen einzelne S*S im gemeinsamen Unterricht beschult wurden. Als negative Erfahrungen im Umgang mit Heterogenität erzählen die Studierenden von S*S, die trotz differenzierter Materialien überfordert wurden. Als Konsequenz wurden diese S*S separiert beschult. Darüber hinaus werden von den Studierenden demotivierte pädagogische Betreuer*innen und Regelschullehrkräfte beschrieben, die Heterogenität nicht als ihren Zuständigkeitsbereich betrachten. [28]

Hochschuldidaktische Lehr- und Lernbedingungen im Hinblick auf inklusive Überzeugungen

Die Studierenden fühlen sich aufgrund der Struktur ihres Studiums unzureichend auf die inklusive Praxis vorbereitet: „Ich denk auch, (…) wenn man, sag ich jetzt mal, im Studium (…) einfach viel mehr mit dem Thema konfrontiert wird, kann man sich, glaub ich, später auch dann ein bisschen mehr zutrauen. Aber wenn man dann, sag ich jetzt mal, während dem Studium oder während dem Referendariat gar nichts über das Thema gehört hat, wenn man dann einfach so vor die Klasse so 'Ja, du bekommst nächste Woche drei Inklusionskinder', das ist denke ich nochmal schwerer, wenn man davor gar nichts zu dem Thema gehört hat (…).“ B7, VFD 2. Hinsichtlich ihrer späteren Tätigkeit als Lehrkraft in inklusiven Settings wünschen sich Studierende eine Umstrukturierung des Studiums hin zu einer dualen Struktur mit mehr (inklusionsbezogenen) Praxisphasen. Als mögliche Lernmethoden werden Diskussionen Studierender unterschiedlicher Lehramtsstudiengänge sowie Videovignetten und Fallbeispiele von heterogenen Lerngruppen genannt. Zudem wünschen sie sich den Einbezug von Expert*innen aus der Praxis. Hierunter fassen die Studierenden Inklusionshelfer*innen, Menschen mit Behinderung oder Studierende, die bereits über Praxiserfahrung an Förderschulen verfügen. [29]

Der Wunsch nach Praxisnähe wird auch in den geäußerten Vorschlägen zu möglichen Inhalten des Studiums deutlich. Aus Sicht der Studierenden thematisiert ein idealtypisches inklusives Lernangebot für Lehramtsstudierende der allgemeinen Schule die Erstellung von differenzierten Lernmaterialien, die Vermittlung von Grundlagenwissen über Förderschwerpunkte sowie von diagnostischen Kenntnissen. Um besser auf unvorhersehbare Situationen im Unterricht vorbereitet zu werden, erhoffen sich die Studierenden mehr Wissen zur Klassenführung in heterogenen Lerngruppen sowie von sich selbst auf Video aufgezeichnete Praxissituationen. Letztere sollten im Seminarkontext gemeinsam analysiert und reflektiert werden: „Die Inhalte sollten irgendwie ein bisschen besser angepasst werden. Also gerade auch solche Heterogenität wird man irgendwie, es wird irgendwie immer wieder gesagt, 'Ja, ihr müsst euren Unterricht differenzieren und Heterogenität beachten' ja aber, wie? Das wird ganz oft unterschlagen. Da wird einfach nur gesagt 'ja, müsst ihr machen'.“ B6, BTN. [30]

Interpretation und Zusammenfassung der Ergebnisse

Die beschriebenen Ergebnisse lassen sich im Hinblick auf die Fragestellung der Studie in die folgenden vier inhaltlichen Facetten zusammenfassen: [31]

Kein einheitliches Verständnis von Heterogenität [32]

Das Verständnis von Heterogenität der angehenden Lehrkräfte ist im Hinblick auf die theoretische Herleitung sehr allgemein gefasst im Sinne einer Einzigartigkeit. Diese Beobachtung deckt sich mit der Beschreibung von Ruberg und Porsch (2017). In ihrem Review zeigen sie, dass ein Großteil der von ihnen rezipierten Studien ein weites Inklusionsverständnis aufweist. Weiter bewerten die Studierenden der vorliegenden Studie Lernprozesse in heterogenen Lerngruppen positiv und begreifen sie als Chance. Auch hier zeigt sich eine Übereinstimmung zu bestehenden Forschungsergebnissen, beispielsweise zu Kopp (2009). In den Gruppendiskussionen der vorliegenden Studie wurde jedoch nicht konkretisiert, auf welche Art und Weise die Studierenden dieser Einzigartigkeit im gemeinsamen Unterricht begegnen und inwieweit dieses Verständnis in der Gestaltung von Lehr- und Lernangeboten deutlich wird. Eine Konkretisierung erhält der Begriff der Heterogenität im Hinblick auf die Heterogenitätsdimension „Behinderung“. In diesem Rahmen erhält der Behinderungsbegriff einerseits interaktionistische Begriffskomponenten, andererseits wird er im Zusammenhang mit scheinbaren „Krankheitsbildern“ genannt. Die Studierenden konkretisieren den Begriff des „Krankheitsbildes“ dabei anhand von Aspekten wie „Lernbehinderung“. Im Hinblick auf weitere Befragungen wäre es wichtig zu wissen, aus welchen Gründen die Studierenden Aspekte wie eine Lernbehinderung als Krankheitsbilder auffassen. Zudem stellt sich die Frage, welche pädagogischen und didaktischen Zielsetzungen sie im Kontext von „Krankheit“ verbinden. [33]

Grenzziehungen hinsichtlich S*S mit schweren Behinderungen [34]

In der Beschreibung ihres Heterogenitätsverständnisses nehmen die Studierenden Grenzziehungen hinsichtlich der gemeinsamen Beschulung von Kindern mit schweren motorischen und kognitiven Einschränkungen vor. Diese Schülerschaft fassen sie unter dem Begriff der schweren Behinderung. Wie bei Scholz und Rank (2015) beschreiben die Studierenden eine eher exkludierte Betreuung anstatt gemeinsamen Beschulung von S*S mit schweren Behinderungen. Die Studierenden beschreiben die Ermöglichung eines gemeinsamen Unterrichts mit dieser Schüler*innenschaft als besonders „herausfordernd“. Diese Grenzziehungen werden auch in der Beschreibung eines gemeinsamen Unterrichts und der Beschreibung der Zuständigkeiten der FöL deutlich. Hinsichtlich eines gemeinsamen Unterrichts beschreiben die Studierenden die Planung von Unterrichtseinheiten für S*S mit unterschiedlichen motorischen Behinderungen ebenfalls als besonders „herausfordernde“ Aufgabe. In der Rollenverteilung im gemeinsamen Unterricht grenzen sich die Lehramts-Studierenden der allgemeinen Schulen hinsichtlich der Pflege und Medikamentierung von S*S mit schweren Behinderungen ab. Als Begründungen nennen sie die hierfür benötigten Inhalte und Kompetenzen, die Studierende des Förderschullehramtes während der Ausbildung vermittelt bekämen. Sie äußern dabei nicht die Bereitschaft, sich im Hinblick auf diese Tätigkeiten weiterzubilden. In diesem Kontext wäre es interessant zu erfahren, warum die Studierenden in einem heterogenen Lernkontext bestimmte Schüler*innengruppen als „herausfordernd“ beschreiben und welche Herausforderungen sich durch die Beschulung für die Studierenden stellen. Fraglich ist weiterhin, welche Strukturen aus Sicht der Studierenden verändert werden müssten, damit diese den Bedürfnissen der S*S entsprechen. [35]

Das „Gemeinsame“ im Unterricht [36]

Die Studierenden beschreiben den gemeinsamen Unterricht als wenig planbar. Der gemeinsame Unterricht erfordere, wie jeder Unterricht, ein gewisses Maß an Flexibilität. Die Studierenden signalisieren dabei die Bereitschaft, sich auf diese Unplanbarkeit einzulassen und sich im Hinblick auf die Differenzierung von Lernmaterialien weiterzubilden. Dabei stellt sich die Frage, ob und wenn ja, warum die Studierenden diese Einschätzung nicht generell auf Unterricht beziehen. Im Gemeinsamen möchten sie eine Verbesonderung einzelner S*S vermeiden. Im Hinblick auf die im vorigen Kapitel beschriebene Grenzziehung gegenüber S*S mit schweren Behinderungen, aber auch mit sozial-emotionalen Förderbedarfen, stellt sich die Frage, inwieweit die Studierenden diesen Anspruch erkennen und im gemeinsamen Unterricht reflektieren. Das gemeinsame Element des Unterrichts zeigt sich in den Antworten der Studierenden nur bedingt auf der Lehrer*innenebene: Die Studierenden äußern klare Zuständigkeitsbereiche je nach lehramtsspezifischer Ausbildung. Auch Moser und Kropp (2015) und Arndt und Werning (2013) beschreiben die Aufteilung kooperativer Aufgaben im Sinne eines „einer unterrichtet, einer assistiert“-Konzeptes. Als primäre Zielsetzung verfolgen die von uns befragten Studierenden die Vermittlung von Wissen. Ihre Kolleg*innen betrachten sie als Unterstützer*innen bzw. Berater*innen in ihrer Zielerreichung. Hier zeigen sich Übereinstimmungen zu Moser und Kropp (2015), in deren Studie die befragten Lehrkräfte der allgemeinen Schule in inklusiven Settings stärker im Klassenunterricht tätig waren. Die Förderschullehrkräfte hingegen beschäftigten sich eher mit der individuellen Förderung der S*S. Vor diesem Hintergrund könnte eine gemeinsame Gruppendiskussion von Studierenden aller Lehrämter eine interessante Erweiterung der vorliegenden Studie sein. Von besonderer Bedeutung wären Erkenntnisse, inwieweit die Studierenden explizite und implizite Erwartungen an die eigene Rolle und die Rolle der Kolleg*innen gemeinsam aushandeln. [37]

Wunsch nach mehr Praxiserfahrung und -akteuren im Studium [38]

Aus dieser Einschätzung können Implikationen für hochschuldidaktische Lehr- und Lernbedingungen abgeleitet werden. Auf struktureller Ebene sollten Praxiserfahrungen verstärkt durch ein Studium mit dualem Charakter ermöglicht werden. Hochschuldidaktisch bieten Seminare das Potential, auf die Herausforderungen einer inklusiven Praxis vorzubereiten. Im Fokus stehen hierbei die Erstellung von differenzierten Lernmaterialien, die Einbindung von Praxisakteur*innen in die Lehre sowie die Vermittlung eines Grundlagenwissens zur Klassenführung in inklusiven Klassen. In der Konzeption hochschuldidaktischer Angebote gilt es, die von den Studierenden geäußerte Überforderung und Unsicherheit bereits zu Beginn des Lernangebots zu berücksichtigen. [39]

Ausblick

Sowohl aus bereits bekannten Forschungsprojekten wie auch aus der Zusammenfassung der Ergebnisse der hier vorgestellten Studie ergeben sich aus unserer Sicht Konsequenzen für die Lehrer*innenbildung aller schulartspezifischen Schwerpunkte. Im Hinblick auf die Überzeugungen von inklusivem Unterricht und die Bewertung von Heterogenität der Teilnehmer*innen unserer Studie sehen wir eine Möglichkeit der Veränderung in der Entmystifizierung (Loreman, Sharma, & Forlin, 2013) ihrer inklusionsbezogenen Überzeugungen. Hierbei werden die idealisierten Vorstellungen der Studierenden aufgegriffen und in Relation zur vorhandenen Schulrealität gesetzt. Zur Entmystifizierung können dabei verschiedene hochschuldidaktische Maßnahmen initiiert werden: [40]

  1. Zunächst beginnen Studierende ihr Studium vor dem Hintergrund spezifischer Vorstellungen über ihren späteren Schulalltag (Scholz & Rank, 2015). Im Kontext von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und -settings für Studierende und Lehrkräfte untersuchten Studien, wie sich Teachers’ Beliefs beispielsweise hinsichtlich Schülerorientierung oder konstruktivistischer Lerntheorien verändern lassen (Biedermann, Brühwiler, & Krattenmacher, 2012; König, 2012; Philipp, 2007). Dabei gilt es zu beachten, dass inklusive Innovationen von Studierenden und Lehrer*innen nur in die Praxis getragen werden, wenn eine Übereinstimmung zu bestehenden berufsbezogenen Überzeugungen auftritt (Burke, 2011; Philipp, 2007). Studien zeigen auf, dass Reflexion zu einer Auseinandersetzung mit unbewussten Überzeugungen führt, die wiederum eine Veränderung bestehender Teachers’ Beliefs verursacht (Philipp, 2007; Wyss, 2013). Daher gilt es, inklusionsbezogene Vorstellungen im Rahmen der universitären Ausbildung aufzugreifen und zum Gegenstand reflexiver Austauschprozesse zu machen, um ein möglichst realitätsnahes Bild der künftigen Schulrealität zu konstruieren. Im Rahmen unserer Stichprobe würden sich beispielsweise eine Beobachtung und Reflexion von Videovignetten realer Unterrichtssituationen anbieten.

  2. Ein Teil unserer Stichprobe weist wenig bis keine Erfahrungen in inklusiven Schulsettings auf. Um ihre teilweise stereotypen Vorstellungen zur Schüler*innenschaft und Unterrichtsgestaltung zu verändern, müssten reale Kontaktsituationen, beispielsweise im Rahmen von Projektwochen oder Praktika geschaffen werden. Dies legt bereits die Forschung zur Kontakthypothese nahe: Die Kontakthypothese besagt, dass Kontakt zu Personen aus einer anderen Gruppe die Vorurteile gegenüber der gesamten Gruppe verringert (Allport, 1954). Ein Austausch könnte möglicherweise auch vorhandene, zumeist negative Emotionen und Barrieren der Teilnehmer*innen im Hinblick auf Kinder mit Förderbedarf positiv verändern. Diese positiven Veränderungen der Überzeugungen werden im Anschluss an Weiterbildungsmaßnahmen jedoch nur in ihrer Rhetorik, nicht aber im professionellen Handeln der Lehrkräfte deutlich (Forgasz & Leder, 2008). Um das professionelle Handeln der Lehrer*innen langfristig zu verändern, müsste nicht nur ein Mehr an funktionierenden Praxiskonzepten und Settings geschaffen werden. Fives & Buehl (2012) betonen, dass sich eine gemeinsame Unterrichtsentwicklung von verschiedenen, spezifisch ausgebildeten Lehrkräften positiv auf die Ausbildung erwünschter Überzeugungen auswirkt. Von diesen Ergebnissen ausgehend müssten nicht nur Praxis- und Theorieeinheiten wechselwirken, sondern auch die Ausbildung aller Studierenden innerhalb von Praxiseinheiten enger miteinander verwoben werden. Dies geht mit den Wünschen der Teilnehmer*innen unserer Studie einher, die ein Mehr an Schulpraxiseinbindung und gemeinsamen inklusiven Inhalten fordern. [41]

Wie bereits in Kapitel 3.1 beschrieben, begrenzt sich unsere Studie auf eine deskriptive und explizite Beschreibung der inklusionsbezogenen Überzeugungen angehender Lehrkräfte. Zukünftige Forschungsprojekte könnten sich einer Rekonstruktion der impliziten Überzeugungen der Studierenden widmen. Dafür müsste ein Forschungsdesign gewählt werden, das eine Rekonstruktion ermöglicht. Zur Datenerhebung bieten sich Gruppendiskussionen für eine Rekonstruktion sicherlich an. Ergänzend dazu müssten zumindest Interviews geführt und/oder Studierende während des Unterrichtens in heterogenen Gruppen beobachtet werden. Zur Datenerhebung würden sich die dokumentarische Methode sowie Methodenelemente der Grounded-Theory-Methodologie eignen. Im Rahmen weiterer Studien sehen wir eine Aufgabe in der Gestaltung hochschuldidaktischer Konzepte, die Raum für das Aufgreifen und Reflektieren inklusionsorientierter Überzeugungen in der Lehrer*innenbildung eröffnen. Dabei gilt es, diese Überzeugungen sowohl theoretisch als auch praktisch von Anfang an im Studium aufzugreifen und mögliche Veränderungen prozesshaft zu begleiten. [42]

Anmerkung

Die Publikation entstand aus einer Kooperation zwischen zwei Teilprojekten des vom „Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)“ im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung geförderten Projektes „Modulare Schulpraxiseinbindung als Ausgangspunkt zur individuellen Kompetenzförderung (MoSAiK)“. [43]

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Kontakt:

Björn Risch, Universität Koblenz-Landau, Institut für naturwissenschaftliche Bildung, Fortstraße 7, 76829 Landau
E-Mail: risch@uni-landau.de

Zitation:

Endres, A., Risch, B., Schehl, M. & Weinberger, P. (2020). „Teachers’ Beliefs“: Inklusionsbezogene Überzeugungen von angehenden Lehrkräften hinsichtlich eines gemeinsamen Unterrichts. QfI - Qualifizierung für Inklusion, 2(1), doi:

Eingereicht:

17.09.2019