MIKS - ein inklusives Professionalisierungs- und Schulentwicklungskonzept im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit

MIKS – a concept for professionalisation and school development in the field of multilingualism

Autor/innen

  • Imke Lange Universität Hamburg

DOI:

https://doi.org/10.21248/qfi.20

Schlagworte/Keywords

Mehrsprachigkeit, Grundschule, Schulentwicklung, Qualifizierung, Professionalisierung, Multilingualism, Elementary School, School Development, Teacher Professionalisation

Zusammenfassung

Das MIKS-Konzept ist ein Konzept für die Schulentwicklungsarbeit mit Grundschulkollegien, die alle Sprachen ihrer Schüler*innen wertschätzen und für das Lernen nutzen wollen. Ziel ist die Professionalisierung und Qualifizierung des Personals und die Unterstützung von Schulentwicklungsprozessen. Die Grundschulkollegien entwickeln und erproben eigene Praxisvorhaben zum Einbezug von Mehrsprachigkeit, implementieren sie in die regulären Schul- und Unterrichtsabläufe und gestalten so die Schulentwicklung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit selbst.

Das MIKS-Konzept enthält Vorgaben über den Ablauf und die Methoden der Qualifizierung und Schulbegleitung sowie über die Inhalte, die während der Qualifizierung vermittelt und bearbeitet werden. Das MIKS-Konzept wurde 2013-2016 entwickelt und in drei Grundschulen erprobt. Im Rahmen einer Dissemination wurde das Konzept 2016-2019 durch Multiplikator*innen in die Breite getragen und an weiteren 17 Grundschulen durchgeführt. Der Artikel fokussiert zunächst die theoretische Fundierung und Konzeptionalisierung von MIKS. Im zweiten Teil werden die Inhalte, die Anlage und der Ablauf der Qualifizierung erstmals ausführlich vorgestellt und durch Einblicke in bisherige Erfahrungen illustriert.

Abstract

The MIKS concept aims at school development and is carried out in elementary schools, which want to value all their students' languages and use them for learning. The aim is the professionalisation and qualification of the staff and the support of school development processes. The primary school colleges develop and test their own multilinguals teaching approaches and implement them in the everyday school routines. The concept includes the transfer of knowledge (psycholinguistic and sociolinguistic foundations), trial phases in lessons (via the implementation of multilingual teaching approaches), and guided reflection exercises concerning the experiences and beliefs among the participating staff.

The MIKS concept was developed in 2013-2016 and was carried out in three elementary schools. As part of a dissemination, the concept 2016-2019 was broadened by multipliers and carried out at further 17 elementary schools. The article focuses on the theoretical foundation and conceptualisation of MIKS. In the second part the contents and the course of the MIKS concept are presented in detail for the first time.

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Veröffentlicht

2019-12-05

Einleitung

MIKS steht für ‚Mehrsprachigkeit als Handlungsfeld Interkultureller Schulentwicklung‘. Das MIKS-­Konzept ist ein Konzept für die Schulentwicklungsarbeit mit Grundschulkollegien, die alle Sprachen ihrer Schüler*innen wertschätzen und für das Lernen nutzen wollen. Ziel ist die Professionalisierung und Qualifizierung des Personals und die Unterstützung von Schulent­wicklungsprozessen. Das MIKS-Konzept sieht einen partizipativen Transfer vor: Die Grund­schul­kollegien werden dabei unterstützt, eigene Praxisvorhaben zu entwickeln und die Schul­entwicklung selbst zu gestalten. Das Konzept enthält Vorgaben über den Ablauf und die Methoden der Qualifizierung und Schulbegleitung sowie über die Inhalte, die während der Quali­fizierung vermittelt und bearbeitet werden. [1]

Das MIKS-Konzept wurde 2013-2016 entwickelt und in drei Grundschulen erprobt.1 Im Rahmen einer Dissemination wurde das Konzept 2016-2019 durch Multiplikator*innen in die Breite getragen und an weiteren 17 Grundschulen durchgeführt. Dieser Artikel fokussiert die theo­retische Fundierung und Konzeptionalisierung von MIKS und stellt die Inhalte und den Ablauf der MIKS-Qualifizierung erstmals ausführlich vor. [2]

Zunächst wird erläutert, welches Verständnis von Inklusion dem MIKS-Konzept zugrunde liegt und wie das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit in einer inklusiven Schulentwicklung eingebunden ist (2). Im anschließenden Abschnitt (3) geht es um die Professionalisierung von Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiter*innen im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit. Schließlich werden Aufbau, Inhalte und Struktur der MIKS-Qualifizierung vorgestellt und Einblicke in bisherige Er­fahrungen gegeben (4). Abschließend zeigt ein Ausblick erste Ergebnisse der wissenschaft­lichen Begleitung der MIKS-Qualifizierung (5). [3]

Inklusive Schulentwicklung in der Migrationsgesellschaft

Was wir als ‚heterogen‘ wahrnehmen, ist eine soziale Konstruktion, die von expliziten oder impli­ziten Maßstäben abhängt. Die Maßstäbe beziehen sich auf eine konstruierte ‚Einheitlichkeit‘, also auf das, was in einer Vergleichsdimension als ‚normal‘ angesehen wird. Bei der Wahr­nehmung von Heterogenität in Lerngruppen lassen sich vereinfacht zwei Sichtweisen unter­scheiden: eine problemfixierte Sichtweise von Heterogenität und ein Verständnis von Verschie­denheit und Vielfalt als ‚normale‘ Voraussetzung und Ressource des Unterrichtshandelns (Gomolla, 2009, S. 21). Die zweite Sichtweise wird normativ häufig von Lehrkräften und Päda­gog*innen geteilt. Bei Erzählungen über den Alltag in Unterricht und Schule und im Erfahrungs­austausch stehen aber häufig Schwierigkeiten und Probleme im Vordergrund. [4]

Je nach Lerngruppe und Lernsituation rücken unterschiedliche Heterogenitätsperspektiven in den Fokus, z.B. Leistungsvermögen, Alter oder Geschlecht. Im MIKS-Konzept geht es um die Sprachen, die die Kinder mit in die Schule bringen, um migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Der Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit lässt sich in einem inklusionspädago­gischen Diskurs verorten, der Inklusion als Begriff in der Auseinandersetzung mit Fragen nach Behinderung in Schule und Unterricht verwendet (Sturm, 2016, S. 181). Behinderung wird hier aus einer sozial-konstruktivistischen Perspektive betrachtet, [5]

„die Behinderung in Interaktionen und Situationen verortet und zugleich über­dauernde, wiederholen­de soziale Ausschlussprozesse in den Blick nimmt. Für den Unterricht können hierbei vor allem Formen behindernder Lern- und Bildungs­möglichkeiten genannt werden, die sich gleichermaßen auf das soziale Miteinander wie auf das – sozial hervorgebrachte – fachliche Lernen der SchülerInnen beziehen.“

(Sturm & Wagner-Willi, 2015, S. 65)
[6]

Mit diesem weit gefassten Inklusionsbegriff können Prozesse der Behinderung bzw. Inklusion in Bezug auf unterschiedliche Dimensionen einer heterogenen Schülerschaft untersucht und bearbeitet werden (Sturm & Wagner-Willi, 2015, S. 65). Die Dimension ‚migrationsbedingte Mehrsprachigkeit‘ betrifft nicht nur den Umgang mit sprachlicher Heterogenität im Unterricht, sondern auch das (Nicht-)Sichtbarmachen und (Nicht-)Hörbarmachen von Sprachen im ge­samten Schulalltag, z.B. durch Sprachverbote. [7]

Die Diskussion zum Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in der Schule ist durch vielfältige Spannungsfelder bestimmt (siehe auch Abschnitt 3): So gibt es zahlreiche Gesetzes­texte und Beschlüsse, die eine Benachteiligung von Kindern, Jugendlichen und Schüler*innen aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit verbieten und an egalitärer Differenz orientiert sind (z.B. KMK-Beschluss 1996/2013, Antirassismusrichtlinie 2000/43 EG, Schulgesetz NRW 2016, Teilhabe- und Integrationsgesetz NRW 20122). Gleichzeitig zeigen zahlreiche Studien, dass strukturelle Barrieren in Schule und Gesellschaft weiterhin verhindern, „dass viele Heranwachsende mit anderen Familiensprachen als Deutsch in gleicher Weise Zugang zu Bildungsangeboten finden und von ihnen profitieren können wie einsprachige Schülerinnen und Schüler“ (Fürstenau & Gomolla, 2011, S. 15). Sprachliche Differenz werde nicht zum Anlass für konstruktives pro­fessionelles Handeln genommen, sondern „zum Aufhänger für Stigmatisierung, Benachteiligung und Ausgrenzung“ (Fürstenau & Gomolla, 2011, S. 16). Diese strukturellen Barrieren lassen sich mit dem Begriff ‚institutionelle Diskriminierung‘ fassen (Gomolla & Radtke, 2009). Hier ist die Ungleichbehandlung von Personen durch das organisatorische Handeln gesellschaftlicher Institutionen wie Schule gemeint, die im Ergebnis Personen oder Gruppen ausgrenzt. Solche Spannungsfelder werfen Fragen auf, wie mehrsprachige Schüler*innen im Unterricht und in der Institution Schule benachteiligt und behindert werden und wie sie Partizipations- und Ge­staltungsmöglichkeiten erfahren können. [8]

Das MIKS-Konzept basiert auf dem Selbstverständnis einer Interkulturellen Pädagogik als Fachrichtung der Erziehungswissenschaft, die sich auf Fragen der Erziehung und Bildung in einer durch Migration geprägten Gesellschaft spezialisiert hat (zur Diskussion der Anliegen Interkultureller Pädagogik Fürstenau, 2011). In diesem Selbstverständnis sind fünf Prämissen leitend (Fürstenau, 2011, S. 7-11): [9]

  • Kinder und Jugendliche mit ‚Migrationshintergrund‘ sind eine heterogene Gruppe.

  • Migrationsbedingte Pluralisierungsprozesse sind konstitutiv für Schule.

  • Eine sozial gerechte Bildungspraxis erfordert institutionellen Wandel.

  • Lernen und Lehren ist eine soziale Aktivität.

  • Professionalisierung ist eine Voraussetzung für schulischen Wandel. [10]

Diese Prämissen sind Grundbedingung des pädagogischen Handelns im Umgang mit migra­tionsbedingter Heterogenität. ‚Mehrsprachigkeit‘ bezieht sich auf migrationsbedingte, lebens­weltliche Mehrsprachigkeit und ist Grundlage für das MIKS-Konzept, um interkulturelle Schulentwicklung in einer durch Migration geprägten Gesellschaft anzustoßen. [11]

MIKS verortet sich in Theorien zu interkultureller Schulentwicklung, die das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit in einen größeren Zusammenhang stellen, wie dem theoretischen Konzept für eine diskriminierungskritische Schulentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft (für das Folgende Gomolla, Schwendowius & Kollender, 2016, S. 28-47). Schulentwicklung wird auch hier als Trias von Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung verstanden. Dabei wird deutlich darauf verwiesen, dass punktuelle Aktivitäten zwar zu einem konstruktiveren Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität (die auch sprachliche Aspekte einschließt) führen können, für eine systematische Transformation in eine diskriminierungskritische Richtung jedoch eine institutionelle Schulentwicklung erforderlich ist: [12]

„Gerade mit Blick auf die oft schwer erkennbaren Mechanismen und Ursachen der institutionellen Diskriminierung in konkreten Schulorganisationen zielen neuere Ansätze der interkulturellen Öffnung bzw. Schulentwicklung verstärkt darauf ab, Schulen auch speziell im Umgang mit den Erfordernissen der Differenz, Diskriminierung und Teilhabegerechtigkeit als ‚lernende Organisation’ zu gestalten. Dabei sollen Lehrkräfte befähigt werden, in gemeinschaftlichen Anstrengungen ihre eigenen Hand­lungskontexte auf Diskriminierung hin zu untersuchen. Die heuristische Prozessstruktur der institutio­nellen Schulentwicklung – d.h. die Verknüpfung von Standortbestimmung, Zielvereinbarung, Hand­lungsplanung, Aktion und Ergebnisbeurteilung – soll produktiv gemacht werden, um im Handlungs­kontext spezifischer Schulen Problemlagen und strukturelle Barrieren, die der gleichberechtigten Teilhabe bestimmter Individuen oder Gruppen im Weg stehen, erkunden und identifizieren zu können, Veränderungen zu entwerfen und umzusetzen, ihre Wirkungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, etc.“

(Gomolla et al., 2016, S. 30)
[13]

Wie jede lokale Schulentwicklung ist auch Interkulturelle Schulentwicklung in erster Linie auf die Verbesserung der Lern- und Bildungsprozesse im Unterricht ausgerichtet. Als Gestaltungsfelder interkultureller Unterrichtsentwicklung, die unter Gesichtspunkten der Differenz, Diskriminierung und Gerechtigkeit besonders relevant sind, nennen Gomolla et al. (2016, S. 35): [14]

  • Durchgängige Vermittlung von Deutsch in allen Fächern/ Förderung der Mehrsprachigkeit

  • Gerechtigkeitsorientierte Schulkultur des Empowerment und der Partizipation

  • Gerechtigkeitsorientierte Beurteilungs- und Zuweisungspraxis

  • Unterstützung von Bildungsübergängen

  • Verbindung formeller und informeller Lernprozesse

  • Aktivierung der Kooperation und Partizipation von Eltern. [15]

Das MIKS-Konzept setzt an dem Gestaltungsfeld Mehrsprachigkeit an unter Berücksichtigung von Empowerment und Partizipation, Verbindung von Lernprozessen sowie Partizipation der Eltern. [16]

Organisationsentwicklung wird von Gomolla et al. (2016) als methodischer Ansatz für eine ge­rechtigkeitsorientierte Schulentwicklung gesehen. Sie kritisieren aber, dass unter dem Ziel der Teilhabegerechtigkeit in den allgemeinen Ansätzen zur schulischen Organisationsentwicklung wichtige Bereiche unterrepräsentiert seien, die für das Zustandekommen von institutioneller Dis­kriminierung eine Rolle spielen. Hier nennen die Autorinnen u.a. zwei Bereiche, an denen das MIKS-Konzept wiederum explizit ansetzt: Zum einen die Ausblendung der realen Beziehungen und Interaktionen im institutionellen Leben von Schulen, z.B. „die Relevanz sozialer Zugehörig­keiten und Positionierungen von Lehrkräften für ihr berufliches Handeln in Unterricht und Schulentwicklung“ (Gomolla et al., 2016, S. 39). Zum anderen institutionelle Merkmale der Schule, die aus ihrer Geschichte resultierten und auf vielschichtige Weise in schulischen Organisationsstrukturen und Arbeitskulturen verkörpert seien. Ein Beispiel sei der ‚monolinguale Habitus’ der Schule (Gogolin, 1994/2008). [17]

Zur Frage, warum Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht miteinbezogen und der ‚monolin­guale Habitus‘ überwunden werden sollte, gibt es aus unterschiedlichen Disziplinen For­schungsergebnisse und Begründungen (Dlugaj & Fürstenau, 2019, S. 2f.; Huxel, 2018, S. 113): (1) Psycholinguistische Studien zeigen einen positiven Einfluss individueller Mehrsprachigkeit auf die Entwicklung kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten (Tracy, 2008; Poarch & Bialystock, 2017). (2) Sozio-linguistische Argumente erklären, warum Kinder von sprachlichen Minder­heiten selten oder kaum von diesen spezifischen Potenzialen der Mehrsprachigkeit im schulischen Kontext profitieren können (Cummins, 2014). (3) Sprachen sind Teil unserer Identi­tät. Für viele Kinder sind mehrsprachige Praktiken im außerschulischen Leben selbstverständ­lich. (4) Gerechtigkeitstheoretisch und aus migrationspädagogischer Perspektive ist gleichbe­rechtigte Teilhabe nicht möglich, wenn in Bildungsinstitutionen einzelnen Akteur*innen oder Gruppen die eigene Sprache oder der eigene Sprachgebrauch verboten wird oder als illegitim gilt (Huxel, im Druck). [18]

Das MIKS-Konzept wurde für Grundschulen entwickelt und geht davon aus, dass diese in der Migrationsgesellschaft mehrsprachig sind und bleiben. Die Forschung zum Stellenwert migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht zeigt jedoch, „dass der konstruktive Umgang mit Mehrsprachigkeit noch keine Selbstverständlichkeit ist, sondern gezielter Strate­gien der Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie der Professionalisierung bedarf“ (Fürstenau, 2017, S. 19). [19]

Professionalisierung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit

Der Professionalisierungsansatz im MIKS-Konzept berücksichtigt, dass „die Akteurinnen und Akteure mit Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmustern [einsteigen], die institutionell, also durch das Feld Schule, geprägt sind und in gewisser Weise träge gegenüber Veränderung sind“ (Sturm, 2010, S. 92). Dies bezieht sich für das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit vor allem auf den ‚monolingualen Habitus‘ in der Schule, d.h. auf die Ausrichtung auf Einsprachigkeit. [20]

Eine grundlegende Frage bei der Professionalisierung ist der Umgang mit Mustern im Zusammenhang mit dem monolingualen Habitus. Der im MIKS-Konzept gewählte Umgang lässt sich mit Sturm folgendermaßen beschreiben: Das Interesse liegt „im verstehenden Nachvollzug der Perspektiven von Lehrenden, die in enger Verknüpfung zur bestehenden Situation des Felds gesehen und nicht als individuelle Kategorie betrachtet werden“ (Sturm, 2010, S. 102). Die Perspektiven der Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter*innen im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit werden im MIKS-Konzept nicht ‚abgefragt‘, sondern herausgearbeitet, gemeinsam diskutiert, reflektiert und für Schule und Unterricht kontextualisiert. Denn: Eine Qualifizierung, [21]

„die über die Vermittlung von Techniken und ,,Unterrichtsrezepten“ hinausgeht und die Bildung von Lehrer/inne/n ins Zentrum ihrer Bemühungen stellt, wird nicht umhin kommen, ihren Habitus, ihre Perspektivität auf Schule und Unterricht, im Kontext der Widersprüchlichkeit der Institution, aufzugreifen. Eine Dimension des Habitus stellt seine Verortung im sozialen Raum und der damit verbundenen Perspektivität, zum Beispiel auf Bildung, dar. Eine Reflexion des eigenen Habitus und aufbauend darauf eine Auseinandersetzung mit anderen Habitus und Positionen im Feld sollte […] einen Aspekt von Lehrerfortbildung darstellen.“

(Sturm, 2010, S. 102)
[22]

Eine Professionalisierung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit muss den Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiter*innen ermöglichen, den eigenen sprachlichen (monolingualen) Habitus zu erkennen, in seiner historischen Bedingtheit zu verstehen, mit den gesellschaftlichen Bedin­gungen von Schule zu verknüpfen und – dies ist wichtig – als veränderbar wahrzunehmen. Die­se Auseinandersetzung kann nicht außerhalb des Spannungsfeldes stattfinden, in dem sich die Beteiligten befinden: Deutsch ist in der Regel die Sprache in der Schule, in der Leistung erbracht werden muss, damit sie anerkannt wird. Aus dieser Perspektive wird Mehrsprachigkeit von allen Beteiligten häufig als defizitär wahrgenommen. Es geht dann darum, mehrsprachige Schü­ler*innen an die monolinguale Norm der deutschen Schule anzupassen. Huxel (2018) fasst die sich daraus ergebenden Folgen für Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter*innen folgender­maßen zusammen: [23]

„Die Berücksichtigung anderer Familiensprachen als Deutsch kann zwar im Rahmen einer norma­tiven ‚Pädagogik vom Kinde aus‘ oder individueller Differenzierung ge­schehen. Solange jedoch nur die deutsche Sprache und anerkannte Schul­fremd­sprachen Grundlage von Bewertung sind und so­lange sprachliche Voraussetzungen am monolingualen ‚Normalfall‘ gemessen werden, solange sind andere Sprachen als Deutsch keine ‚echten‘ Gegenstände des Spiels im Feld Schule.“

(Huxel, 2018, S. 119)
[24]

Wenn Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter*innen die Mehrsprachigkeit der Schüler*innen anerkennen und alle sprachlichen Ressourcen der Kinder zum Lernen nutzen wollen, werden sie sich mit den Widersprüchen auseinandersetzen müssen, die die Organisation Schule stellt. Mit diesen Widersprüchen professionell umzugehen und sich konkrete Gestaltungsspielräume zu erschließen, muss ebenfalls Bestandteil einer Professionalisierung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit sein. Das MIKS-Konzept bietet Schulen bzw. Kollegien eine Möglichkeit, diese Widersprüche zu bearbeiten – auf der individuellen Ebene (Professionalisierung) und auf der Schulebene (Schulentwicklung). Die Auseinandersetzung mit Exklusion und Inklusion erfordert darüber hinaus eine bewusste Sprachverwendung: Wie lassen sich Zuschreibungen auf mehrsprachige Kinder sowohl auf der Ebene der pädagogischen Praxis als auch auf der Ebene der Bildungsinstitution vermeiden? [25]

In der Forschung zu Fortbildungswirksamkeit und Schulentwicklung wird Reflexion als zentrales Merkmal gelingender Fortbildung und Schulentwicklung genannt (Hummrich & Meier, 2016; Geier, 2016). Reflexion ist im MIKS-Konzept ein zentrales Element: Die Lehrkräfte und pädago­gischen Mitarbeiter*innen entwickeln sog. Praxisvorhaben zum Einbezug von Mehrsprachigkeit für den Unterricht, den Ganztag und den Schulalltag. Diese Vorhaben erproben sie während mehrwöchiger Phasen in der Praxis. Im Anschluss an die Praxisphasen haben die Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter*innen dann jeweils an einem Reflexionstag Zeit, sich über die gemachten Erfahrungen auszutauschen, Schwierigkeiten und Fragen zu formulieren, Än­derungen vorzunehmen und zu entscheiden, welche Praxisvorhaben institutionalisiert werden sollen. [26]

Es gibt viele Herausforderungen für den Transfer von Praxisvorhaben in den regulären Unter­richts- und Schulalltag (Gräsel, 2010; Jäger, 2009). Eine Herausforderung betrifft speziell das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit: In MIKS geht es um migrationsbedingte Mehrsprachigkeit, und viele Migrantensprachen gelten in der Schule herkömmlich als illegitime Praxis. Ein kon­struktiver Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit widerspricht geteilten Überzeu­gungen im Feld Schule. Das bedeutet, dass Handlungsroutinen im Umgang mit Mehrsprachig­keit verändert werden müssen. Aus diesem Grund verfolgt das MIKS-Konzept eine partizipative Transferstrategie (Gräsel, 2010, S.15), bei der die Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbei­ter*innen an der Entwicklung, Durchführung und Anpassung der Praxisvorhaben entscheiden­den Anteil haben und sich mit dem, was sie tun, identifizieren. [27]

Das MIKS-Konzept – ein Qualifizierungs- und Professionalisierungskonzept

In diesem Abschnitt werden zunächst die Grundlagen für die Anlage der Qualifizierung zusam­mengefasst (4.1) und dann der konkrete Ablauf der Qualifizierung erläutert (4.2). [28]

Grundlagen für die Anlage der MIKS-Qualifizierung

Die Frage, die der Entwicklung des MIKS-Konzeptes zugrunde liegt, lautet: Wie können Grundschulkollegien unterstützt und ermutigt werden, alle Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler in der Schule und im Unterricht einzubeziehen und für das Lernen zu nutzen? Diese Unter­stützung und Ermutigung richtet sich an alleMitglieder eines Kollegiums: Lehrkräfte, päda­gogische Mitarbeiter*innen, Referendar*innen, Mitarbeiter*innen des Ganztags sowie Lehr­kräfte des herkunftssprachlichen Unterrichts. [29]

Das MIKS-Konzept berücksichtigt verschiedene Bereiche der Professionalität von Lehrkräften. Neben dem Erwerb von Wissen zielt die Quali­fizierung vor allem auf die Reflexion von Überzeugungen im soziopolitischen Kontext und darauf, neue Handlungserfahrungen mit dem Einbezug anderer Sprachen als Deutsch zu gewinnen und diese zu reflektieren. [30]

Ein Grundschulkollegium, das sich für eine Teilnahme an der MIKS-Qualifizierung entscheidet, wird über die gesamte Dauer hinweg von einem Fortbildner bzw. einer Fortbildnerin (im Folgen­den: Fortbildnerin) begleitet. Die Aufgaben der Fortbildnerin sind dadurch geprägt, dass sich das MIKS-Konzept durch eine partizipative Transferstrategie auszeichnet. Das bedeutet kon­kret: [31]

  • Die MIKS-Qualifizierung wird gemeinsam mit der Grundschule vorbereitet. In Gesprä­chen mit der Schulleitung klärt die Fortbildnerin z.B., durch welche inhaltlichen Schwer­punkte und speziellen Arbeitsweisen sich die Schule auszeichnet, welche Sprachen von den Familien, Lehrkräften und Pädagog*innen gesprochen werden und welche Ziele die Schule mit der Teilnahme an der MIKS-Qualifizierung verfolgt.

  • Es gibt keinen externen Transfer, das heißt, das Kollegium übernimmt keine fertigen Vorhaben, die in anderen Kontexten entwickelt wurden. Das Kollegium wird stattdessen dabei unterstützt, die Sprachen der Kinder in den eigenen Unterricht und spezifischen Schulalltag einzubinden und eigene Praxisvorhaben zu entwickeln.

  • Während der Qualifizierung erhält das Kollegium Gelegenheit, an eigenen Entwicklungsvorhaben zu arbeiten. Wenn ein Kollegium z.B. das Thema Grundwortschatz bear­beiten möchte, wird dieses unter der Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit von der Fortbildnerin aufgegriffen. Weitere Beispiele für schuleigene Entwicklungsvorhaben sind die Vernetzung von Unterrichtsalltag und Ganztagsbetreuung oder die Zusammen­arbeit mit Eltern.

  • Als Teil der Qualifizierung werden dem Kollegium theoretische Begriffe und Erkennt­nisse der Mehrsprachigkeitsforschung vermittelt. Auf dieser Grundlage erfolgt ein Aus­tausch zwischen Fortbildnerin und Kollegium mit dem Ziel, ko-konstruktive Entwick­lungs- und Lernprozesse anzustoßen. Auch die Auseinandersetzung innerhalb des Kollegiums und die Arbeit mit den Kindern und Eltern sollen für die Entwicklung eines produktiven Umgangs mit Mehrsprachigkeit genutzt werden. [32]

Bei der Konzeption der MIKS-Qualifizierung und Schulbegleitung wurden zentrale Merkmale einer wirksamen Professionalisierung von Lehrkräften (Desimone, 2009) folgendermaßen kon­kretisiert: [33]

Gemeinsame Teilnahme und Kooperation: Voraussetzungen für die Teilnahme an der MIKS-Qualifizierung sind eine Abstimmung im Kollegium und ein Konferenzbeschluss für die Teilnahme. An der Qualifizierung nimmt dann entweder das ganze Kollegium oder eine Kon­zeptgruppe teil. Die Konzeptgruppe wird dabei unterstützt, die Inhalte der Qualifizierung ins ge­samte Kollegium zu tragen. [34]

Dauer: Die Qualifizierung erstreckt sich über 1,5 Jahre. Beginnend mit den Vorgesprächen in der Schule umfasst die Zusammenarbeit zwischen Fortbildnerin und Schule vier Schulhalbjahre (Tab. 1). Es gibt zwei Module, die jeweils einen Qualifizierungstag (ganzer Tag), eine Praxis­phase zur Erprobung von Praxisvorhaben und einen Reflexionstag (halber Tag) umfassen. Hin­zu kommt ein drittes Modul mit einem abschließenden Qualifizierungstag (ganzer Tag). [35]


		  Vor den Sommerferien finden Vorgespräche in den Schulen statt. Im ersten und zweiten Schulhalbjahr werden Modul 1 und Modul 2 umgesetzt: Zu Beginn des Schulhalbjahres fin-den jeweils die Qualifizierungstage statt. Es folgen die beiden mehrmonatigen Erpro-bungsphasen. Am Ende des Schulhalbjahres findet jeweils der Reflexionstag statt. Im dritten Schulhalbjahr endet die MIKS-Qualifizierung mit der Abschlussqualifizierung.
Tabelle 1: Übersicht Ablauf MIKS-Qualifizierung und Schulbegleitung

Inhaltlicher Fokus: Die Schule wählt im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit einen inhaltlichen Schwerpunkt, entweder Lesen oder Sprachbetrachtung. Die Inputs während der Qualifizierung zielen auf die Vermittlung und Vertiefung von Wissen über Mehrsprachigkeit unter Berücksichtigung dieser beiden Schwerpunkte. [36]

Aktives Lernen: Auf der Grundlage theoretischer Begriffe und von Erkenntnissen der Mehr­sprachigkeitsforschung entwickelt das Kollegium Innovationen. Alle Beteiligten erproben neue Praxisvorhaben im Schulalltag und reflektieren ihre Erfahrungen damit. An den Qualifizierungs- und Reflexionstagen gibt es Zeit für Diskussionen und Austausch. Die Teilnehmenden probieren an den Qualifizierungstagen jeweils eine Übung selbst aus. [37]

Interaktive Lernformen: Kleingruppen- oder Partnerarbeitsphasen sind regelmäßiger Bestand­teil der Qualifizierungs- und Reflexionstage. Insbesondere erhalten die Teilnehmenden an den Qualifizierungstagen Unterstützung bei der Entwicklung eigener Vorhaben zum konstruktiven Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Unterricht und im Ganztag. Als Anregung werden mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze vorgestellt (z.B. Schader, 2012). Aber die Entwicklung, Erprobung und Reflexion eigener Ideen für den Unterricht und den Ganztag durch die Teilnehmenden ist fester Bestandteil des MIKS-Konzepts. [38]

Kohärenz: Die MIKS-Qualifizierung ist auf Schulentwicklung ausgerichtet. Ausgehend von den neuen Erfahrungen der Teilnehmenden wird am abschließenden Qualifizierungstag an der Verstetigung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze und an der Institutionalisierung konkreter Unterrichtsvorhaben in der eigenen Schule gearbeitet. Die Teilnehmenden überarbeiten schuleigene Texte, z.B. Arbeitspläne für die Jahrgänge, das Leitbild der Schule, das Schulprogramm oder die Homepage. Sie planen die regelmäßige Durchführung von Praxisvorhaben, die sich aus ihrer Sicht im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit bewährt haben und die sie langfristig in den regulären Unterricht und Schulalltag einbinden möchten. [39]

Für die drei Qualifizierungstage gibt es einen Ablaufplan mit festen Elementen: Der einfüh­rende aus­tausch­orientierte Vortrag dient der Wissensvermittlung und der Diskussion über das Vor­wissen und die Erfahrungen der Teilnehmenden und dauert etwa 70 Minuten. Im Anschluss findet eine etwa halbstündige angeleitete Übung statt. Im weiteren Verlauf des Tages gibt es drei Impulse. Zu jedem Impuls gehören ein zehnminütiger Input mit Anregungen für die Schul- und Unterrichtsentwicklung und eine zehnminütige Diskussion in der Gruppe. Dazwischen fin­den drei Arbeitsphasen statt, in denen die Teilnehmenden sich untereinander mit den Inhalten auseinandersetzen und Praxisvorhaben vorbereiten. [40]

Das Thema ‚Mehrsprachigkeit‘ als Handlungsfeld Interkultureller Schulentwicklung ist komplex. Im MIKS-Konzept wird diese Komplexität nicht reduziert, sondern bietet eine interdisziplinäre Perspektive mit Anteilen aus der Erziehungswissenschaft, der Soziologie, der Sprach­wissenschaft und aus den Sprachdidaktiken, u.a. Linguistisches zu Mehrsprachigkeit, Mehr­sprachig­keit aus gesellschaftlicher Perspektive, Deutsch als Zweit- und Bildungssprache, Schul­entwicklung in der Migrationsgesellschaft. Die Inhalte werden während der austausch­orien­tier­ten Vorträge und der Impulse vermittelt. In diesen beiden Formaten sind hohe Anteile für ko-konstruktive Interaktion vorgesehen. Konzepte und Theorien sowie der aktuelle Stand der For­schung werden vorgestellt und zur Diskussion gestellt: Leuchten die Konzepte und Theorien den Teilnehmenden ein? Wo gibt es Anknüpfungspunkte oder Widersprüche zu den Er­fahrungen in der eigenen Praxis? Welche Fragen aus der Praxis werden nicht berücksichtigt? Mit welchen Annahmen und aktuellen Konzepten arbeiten die Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter*innen? [41]

Die beiden Reflexionstage nehmen eine Gelenkfunktion zwischen den drei Qualifizierungstagen ein: Die Qualifizierungstage bieten theoretischen Input sowie Zeit und Raum für die Auseinandersetzung mit den Inhalten. Auf dieser Grundlage werden die Praxisvorhaben entwickelt. In der anschließenden Erprobungsphase werden die Praxisvorhaben im Unterricht und Ganztag umgesetzt und die Erfahrungen dokumentiert. Die Reflexionstage dienen der Reflexion der praktischen Erfahrungen, auf deren Grundlage dann wiederum eine vertiefte Auseinander­setzung mit den Inhalten des nächsten Qualifizierungstages stattfindet und die weitere Schul­entwicklung ausgerichtet werden kann. [42]

Inhalte und Ablauf der einzelnen Module

Im Folgenden werden die Inhalte und der Ablauf der drei Module in der MIKS-Qualifizierung zusammengefasst, die jeweiligen Ziele für die Qualifizierungs- und Reflexionstage benannt und Einblicke in bisherige Erfahrungen gegeben. [43]

Inhalte und Ablauf Modul 1 [44]

Inhaltlicher Schwerpunkt des Qualifizierungstages im ersten Modul sind grundlegende Kon­zepte, Begriffe und Vorstellungen von Mehrsprachigkeit. Wichtig ist der gemeinsame Aus­tausch, in dem alltagstheoretische Überzeugungen reflektiert und vorhandenes Wissen erwei­tert werden soll. Die Teilnehmenden erstellen ein eigenes Sprachenporträt3. In zwei Arbeits­gruppenphasen entwickeln die Teilnehmenden auf Grundlage der Theorie Ansatzpunkte für den Einbezug von Mehrsprachigkeit in der eigenen Schule und für den gewählten Schwerpunkt. In der dritten Arbeitsgruppenphase werden erste Überlegungen angestellt, welche Strukturen vor­handen und geeignet sind, um einen Transfer innerhalb und in das Kollegium sicherzustellen. Tabelle 2 zeigt den Ablauf des ersten Qualifizierungstages, die Inhalte sind grau unterlegt: [45]


		  Der Qualifizierungstag beginnt mit einem austauschorientierten Vortrag zum Thema „Konzepte und Vorstellungen von Mehrsprachigkeit“. Es folgt die gemeinsame Übung „Sprachenporträts“. Im weiteren Verlauf wechseln sich Arbeitsphasen und Impulse zu folgen-den Inhalten und Themen ab: Bestandsaufnahme zum Schwerpunkt ‚Lesen‘ oder ‚Sprachbetrachtung‘; Bildungssprache und lebensweltliche Mehrsprachigkeit; Entwicklung von Praxisvorhaben unter Berücksichtigung der Sprachenvielfalt der Kinder als Ressource; Was Zweitsprachlernenden im Unterricht hilft; Planung des Transfers ins Kollegium; Argumente für Mehrsprachigkeit in der Schule.
Tabelle 2: Erster Qualifizierungstag (ganzer Tag)

Ziele des ersten Qualifizierungstages sind Verabredungen zur Umsetzung der entwickelten Pra­xisvorhaben, die in allen Jahrgängen erprobt werden. Die Teilnehmenden organisieren außer­dem, dass bis zum nächsten Reflexionstag alle Schüler*innen ihrer Schule ein Sprachenporträt anfertigen und diese im Unterricht besprochen werden. Die Teilnehmenden erhalten eine theo­retische Grundlage für die Verwendung von Begriffen im Feld ‚Mehrsprachigkeit‘, um sich im Kollegium abzustimmen, welche Begriffe sie im schulischen Kontext und zur Kommunikation z.B. mit den Eltern verwenden wollen. [46]

In den bisher durchgeführten MIKS-Qualifizierungen zeigte sich, dass die Sprachenporträts auch ein geeignetes Instrument sind, um über den Umgang mit Sprachen und Diskriminierung innerhalb des Kollegiums ins Gespräch zu kommen (Fürstenau, 2016). Die Kollegien ent­wickelten vor allem Praxisvorhaben, die sie sich auch zutrauten: Kollegien, die eher wenig Er­fahrung mit dem Einbezug von Mehrsprachigkeit hatten, haben z.B. mehrsprachige Rituale er­probt (Begrüßungen, Verabschiedungen, Zählen). Kollegien mit mehr Erfahrungen haben z.B. mehrsprachige Wortsammlungen in den Fächern angelegt (Tiere, Jahreszeiten) oder mehr­sprachige Anlauttabellen entwickelt. (Praxisbeispiele MIKS, 2019) [47]

Mit dem Reflexionstag wird das erste Modul der Qualifizierung abgeschlossen. Die Erfahrungen mit den Sprachenporträts und den Praxisvorhaben werden vorgestellt und diskutiert und erste schulspezifische Ziele zur Einbindung von Mehrsprachigkeit formuliert (Tab. 3): [48]


		  Die Erfahrungen mit den Sprachenporträts und den erprobten Praxisvorhaben werden vorgestellt und diskutiert. In einer Arbeitsphase werden Ziele der Einbindung von Mehrsprachigkeit in der Schule formuliert. Zum Abschluss nennen die Teilnehmenden ihre Wünsche für den zweiten Qualifizierungstag.
Tabelle 3: Erster Reflexionstag (halber Tag)

Die bisherigen Erfahrungen in den Kollegien waren insgesamt positiv: Das Sichtbarmachen von Sprachenvielfalt durch die Sprachenporträts führte zu vielen Gesprächen zwischen den Lehr­kräften, pädagogischen Mitarbeiter*innen und Kindern – und Erkenntnissen auf Seiten der Er­wachsenen. Bei den Praxisvorhaben waren viele Kollegien überrascht über das große Interesse der Kinder an Sprachen. Unsicherheiten zeigten sich vor allem, wenn die Lehrkräfte ihre Rolle als Expert*innen aufgeben mussten, weil sie die Sprachen der Kinder nicht können und selber zu Lernenden werden (Dlugai & Fürstenau, 2019). [49]

Die Aufgaben der Fortbildnerin am ersten Reflexionstag liegen vor allem darin, einen konstruk­tiven Rahmen für den Austausch innerhalb der Gruppe zu schaffen, Schwierigkeiten bei der Durchführung der Praxisvorhaben ernst zu nehmen, die Motivation zum weiteren Erproben des Einbezugs von Mehrsprachigkeit aufrecht zu halten sowie das Ziel präsent zu halten, zu ent­scheiden, welche Vorhaben wie verstetigt werden können. [50]

Inhalte und Ablauf Modul 2 [51]

Inhaltlicher Schwerpunkt des Qualifizierungstages im zweiten Modul ist die Vertiefung des Kon­zeptes ‚Lebensweltliche Mehrsprachigkeit‘. Im Vortrag und in den Impulsen geht es um ein differenziertes Verständnis von Mehrsprachigkeit, um normative Vorstellungen von Sprache und um das Konzept ‚Language Awareness‘, das Gestaltungsräume für den Einbezug von Mehrsprachigkeit öffnet. Die Übung ‚Schulrundgang‘ führt die Teilnehmenden durch ihr Schulgebäude und lässt sie überlegen: Wo höre und sehe ich andere Sprachen als Deutsch im Schul­alltag? Wo gibt es Möglichkeiten, weitere Sprachen sichtbar(er) und hörbar(er) zu machen? In den Arbeitsgruppenphasen entwickeln die Teilnehmenden auf Grundlage der Theorie und der Übung weitere Praxisvorhaben, die bis zum zweiten Reflexionstag erprobt werden. Dabei können auch bereits durchgeführte Praxisvorhaben weiterentwickelt werden (Tab. 4): [52]


		  Der Qualifizierungstag beginnt mit einem austauschorientierten Vortrag, der das Thema „Lebensweltliche Mehrsprachigkeit in der Migrationsgesellschaft“ vertieft. Es folgt die ge-meinsame Übung „Schulrundgang“. Im weiteren Verlauf wechseln sich Arbeitsphasen und Impulse zu folgenden Inhalten und Themen ab: Sprachen sicht- und hörbar machen (Ent-wicklung von Praxisvorhaben); Normative Vorstellungen von Sprache; Entwicklung von Praxisvorhaben (Sprachforscherprojekte); Language Awareness; Curriculum Mehrsprachig-keit: Planung des Transfers ins Kollegium; Gleichberechtigte Teilhabe.
Tabelle 4: Zweiter Qualifizierungstag (ganzer Tag)

Ziele des zweiten Qualifizierungstages sind Verabredungen zur Umsetzung weiterer Praxis­vorhaben in den einzelnen Jahrgängen und im Ganztag. Außerdem organisieren die Teil­nehmenden, dass bis zum nächsten Reflexionstag alle Schüler*innen in ihrer Schule an einem Vorhaben aus dem Bereich ‚Sprachen sicht- und hörbar machen‘ beteiligt werden, z.B. mehr­sprachige Beschriftungen von Räumen. Die Teilnehmenden verorten ihre Praxisvorhaben im Curriculum Mehrsprachigkeit (Krumm & Reich, 2011) und stellen Verbindungen mit den Lehr­plänen her. [53]

Die Fortbildnerin greift im Vortrag und in den Impulsen die Praxisvorhaben und Erfahrungen auf, die am Reflexionstag thematisiert wurden, verbindet diese mit der Theorie und eröffnet so den Raum für weitere ko-konstruktive Prozesse. Zentrale Themen, die sich in dieser Begegnung von Theorie und Praxiserfahrungen ergeben, sind nach den bisherigen Erfahrungen: Wo und wie findet ‚Othering‘ statt und wie kann man verhindern, dass Kinder aufgrund ihrer Sprach­kenntnisse ‚besondert‘ werden, z.B. wenn einem Kind ein Expertenstatus für eine Sprache zu­gewiesen wird, den es nicht einnehmen kann und will (Huxel, im Druck)? Welche Schwierig­keiten gibt es, wenn Sprachen durch Flaggen symbolisiert werden? Braucht es nicht doch alle Zeit im Unterricht und Ganztag für die deutsche Sprache? [54]

In den bisher durchgeführten MIKS-Qualifizierungen zeigte sich, dass die Praxisvorhaben im zweiten Modul komplexer wurden, z.B. Schreiben mehrsprachiger Gedichte mit Wörterlisten, Kinder geben Mini-Sprachkurse, Produktion mehrsprachiger Bilderbücher oder angeleitete Sprachvergleiche. (Praxisbeispiele MIKS, 2019) [55]

Ein Reflexionstag schließt das zweite Modul der MIKS-Qualifizierung ab. Die Mitglieder der Konzeptgruppe bzw. des Kollegiums haben wieder Zeit, sich über die gemachten Erfahrungen auszutauschen und Schwierigkeiten sowie offene Fragen zu diskutieren. An diesem Reflexions­tag wird außerdem die Arbeitsgrundlage für den dritten und letzten Qualifizierungstag vorbereitet (Tab. 5): [56]


		  In einem Rundgang werden die erprobten Praxisvorhaben vorgestellt und im Anschluss reflektiert. In einer Arbeitsphase werden Ziele der Einbindung von Mehrsprachigkeit in der Schule konkretisiert. Zum Abschluss werden Absprachen zur Implementierung der Praxisvorhaben getroffen und der dritte Qualifizierungstag wird gemeinsam vorbereitet.
Tabelle 5: Zweiter Reflexionstag (halber Tag)

Zum Zeitpunkt des zweiten Reflexionstages hat die Fortbildnerin bereits vielfältige Kenntnisse und Eindrücke von der Arbeit des Kollegiums und der Situation der Schule. Die wichtigste Auf­gabe ist deshalb, den Reflexionstag schulspezifisch vorzubereiten, so dass die folgenden Ziele im Rahmen der jeweiligen Bedingungen bearbeitet werden können: (a) über die bisher erprob­ten Praxisvorhaben aus Modul 1 und Modul 2 reflektieren, (b) gemeinsam überlegen, welche Praxisvorhaben dauerhaft in den Schul- und Unterrichtsalltag übernommen werden sollen, (c) die Ziele zum Einbezug von Mehrsprachigkeit weiter konkretisieren und (d) überlegen, in wel­chen Texten und Konzepten diese Ziele für das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit und die Praxisvorhaben verbindlich aufgenommen werden sollen (z.B. Schulprogramm, Arbeitspläne, Lesekonzept, Homepage, Sprachförderkonzept). [57]

Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass vor allem das letztgenannte Ziel (Auswahl insti­tutioneller Texte zur Bearbeitung am letzten Qualifizierungstag) von den Teilnehmenden auf Vorbehalte stößt. Diesen Vorbehalten konstruktiv zu begegnen und schulspezifische Vorteile herauszuarbeiten, ist eine wichtige Aufgabe der Fortbildnerin (z.B. anstehende Qualitätsana­lyse, Aktualisierung des Sprachförderkonzepts oder der Homepage). [58]

Inhalte und Ablauf Modul 3 [59]

Inhaltlicher Schwerpunkt des Qualifizierungstages im dritten Modul ist die Institutionalisierung des Einbezugs von Mehrsprachigkeit und die Implementierung der erprobten Ansätze und Praxisvorhaben in den Schul- und Unterrichtsalltag. Der dritte Qualifizierungstag beschließt den MIKS-Arbeitsprozess, in dessen Verlauf über drei Schulhalbjahre die individuellen Bedingungen und Bedarfe der Schulen, aber auch die Möglichkeiten und Formen der Zusammenarbeit den gemeinsamen Arbeitsprozess immer deutlicher bestimmt haben. Der Ablauf des dritten Qualifi­zierungstages lässt deshalb schulspezifische Anpassungen zu (Tab. 6): [60]


		  Der Qualifizierungstag beginnt mit einem austauschorientierten Vortrag zum Thema „Schulentwicklung im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit“. Es folgt die gemeinsame Übung „Das Schulhaus“. Im weiteren Verlauf wechseln sich Arbeitsphasen und Impulse zu folgen-den Inhalten und Themen ab: Klären offener Fragen zur Implementierung der erprobten Einheiten; Öffnung von Konzepten in einer migrationssensiblen Schule: Rückmeldung auf Schulpro-gramm, Schulkonzepte und andere öffentliche Texte; Arbeit am konkreten Kon-zept: Bestandsaufnahme zur Öffnung und Formulierungen zur Anpassung. Der letzte Qualifizierungstag schließt mit einem Rückblick und Ausblick und der Übung „Körperprofile“.
Tabelle 6: Abschließender Qualifizierungstag

An diesem dritten Qualifizierungstag geht es darum, erprobte Praxisvorhaben zu institutionalisieren und das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit in konzeptionellen und programmatischen Texten der Schule zu verankern. Arbeitsgrundlage sind Verabredungen und Ergebnisse des zweiten Reflexionstages: ein Set von erprobten Praxisvorhaben, das im Kollegium abgestimmt ist und institutionalisiert werden soll; ausformulierte Sätze zu den schulspezifischen Zielen zum Einbezug von Mehrsprachigkeit und konzeptionelle oder programmatische Texte, die bearbeitet werden. [61]

Im austauschorientierten Vortrag geht es um konzeptionelle Textsorten (Leitbild, Schulpro­gramm) und den aktuellen Erkenntnisstand der Forschung zu Mehrsprachigkeit als Handlungs­feld Interkultureller Schulentwicklung. In der Übung ‚Das Schulhaus‘ werden die Praxisvor­haben, die nun im Schulalltag implementiert werden sollen, soweit aufbereitet, dass eine Weiter­gabe innerhalb des Schulhauses z.B. an die nächsten Jahrgangsteams oder neue Kolleg*innen verlässlich erfolgen kann. Mit dem ersten Impuls gibt die Fortbildnerin zielgerichtete Rückmel­dungen auf die von der Schule zur Verfügung gestellten institutionellen Texte. In den beiden Arbeitsphasen arbeiten die Teilnehmenden an konkreten schulischen Konzepten: Im ersten Schritt wird eine Bestandsaufnahme vorgenommen, wo die Konzepte einer migrations- und differenzsensiblen Schule geöffnet werden können. Im zweiten Schritt werden die Texte ggf. angepasst und Formulierungen ergänzt. [62]

Der zweite Impuls leitet den Abschluss der MIKS-Qualifizierung ein: Die Fortbildnerin gibt einen Rückblick auf die gemeinsame MIKS-Arbeit. Mit der abschließenden Übung ‚Körperprofil‘ können sich die Teilnehmenden vergewissern, welche Fähigkeiten und Kenntnisse jede und jeder nun in das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit an der eigenen Schule einbringen kann. [63]

Mit dem Abschluss der MIKS-Qualifizierung sollen folgende Ziele erreicht sein: Es gibt eine Verständigung über den Stellenwert von Mehrsprachigkeit als Grundlage und Ausgangsbe­dingung des Lernens und Lehrens im Kollegium. Es gibt klare Verteilungen und Zuständig­keiten, wer die Überarbeitung, Fertigstellung und Aktualisierung der Texte übernimmt, die am Qualifizierungstag bearbeitet wurden. Die Schule hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Bedarfe ein Set von Praxisvorhaben in Unterricht und Schulalltag implementiert und dokumen­tiert, das alle Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter*innen umsetzen können.In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Verständigung über das Set von Praxisvorhaben gelingt, die Dokumentation der Praxisvorhaben für eine verlässliche Weitergabe aber von der Fortbild­nerin deutlich unterstützt werden muss. Die Einbindung des Einbezugs von Mehrsprachigkeit in konzeptionelle und programmatische Texte der Schule führte immer wieder zu intensiven Dis­kussionen zwischen den Teilnehmenden, welchen Stellenwert das Thema Mehrsprachigkeit in Außendarstellungen haben soll (für die Zielgruppe Eltern, siehe Böttjer, i.V.). [64]

Ausblick auf erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung

Das MIKS-Projekt ist mit seinen beiden Projektphasen in den Schulen abgeschlossen. Ein Fazit ist: Professionalisierung und Entwicklung finden am ehesten dort statt, wo alle Beteiligten neue und gute Erfahrungen im konstruktiven Umgang mit Mehrsprachigkeit machen. In der zweiten Projektphase wurden 13 Fortbildner*innen mit dem MIKS-Konzept geschult und haben die MIKS-Qualifizierung an 17 Projektschulen umgesetzt. Damit liegen Erfahrungen für insgesamt 20 Grundschulen vor. Zu den Daten, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung erhoben wurden, gehören u.a. Prä-Post-Interviews mit den Schulleitungen, Unterrichtsbeobachtungen, Protokolle zu den Schulungen der Multiplikator*innen sowie zu den Qualifizierungen und eine quantitative Prä-Post-Fragebogenerhebung bei Lehrkräften und pädagogischen Mitarbei­ter*innen. Die Datenauswertung ist noch nicht vollständig abgeschlossen, erste Ergebnisse lassen sich folgendermaßen skizzieren: [65]

Zwei Eigenarten und Herausforderungen prägen die Qualifizierungen mit dem MIKS-Konzept: Das Verhältnis von Theorie und Praxis ist im MIKS-Konzept trotz der vorgegebenen Inhalte für die Vorträge und Impulse dynamisch und wird während der Qualifizierung zwischen allen Beteiligten laufend reflektiert, diskutiert und ausgehandelt. Hier geht es auch um das Entwickeln einer ‚gemeinsamen Sprache‘ zwischen Fortbildnerin und Kollegium: Wie kommen Theorie und Praxis zusammen und werden beim Aufeinandertreffen sprachlich kommuniziert? Das MIKS-Konzept bietet Freiheiten und Spielräume: Es gibt keine vorgegebenen Unterrichtsvorhaben oder -einheiten, die von den Kollegien umgesetzt werden sollen, sondern die Kollegien werden dabei unterstützt, eigene Praxisvorhaben zu entwickeln. Was sich die Schulen dann tatsächlich vornehmen und wie sie ihre Vorhaben umsetzen, kann unterschiedlich sein zu den Vor­stellungen der Fortbildner*innen. Auch hier sind es ko-konstruktive Prozesse, die diese Ent­wicklungen und Erprobungen begleiten und die Kollegien unterstützen, einen für alle Kolleg*innen und die eigene Schule passenden Weg im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit zu gehen. [66]

In den MIKS-Kollegien hat eine Verständigung über das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit in der eigenen Schule stattgefunden – und zwar durch konkrete Erfahrungen mit dem Einbezug von Mehrsprachigkeit und zum eigenen und schulischen Habitus bezüglich Sprachen. Widersprüche können so wahrgenommen und damit auch professionell reflektiert werden. Es zeigt sich, dass die Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiter*innen ihre Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata in Bezug auf Mehrsprachigkeit verändern und damit „zu einer Verbesserung des Klimas und der Situation für mehrsprachige Kinder an der Einzelschule beitragen“ (Huxel, 2018, S. 119). [67]

Die Beobachtungen in den MIKS-Schulen und in den Qualifizierungen zeigen außerdem, dass die Kinder und die Eltern den Einbezug von Mehrsprachigkeit positiv und wertschätzend erleben und sich aktiv beteiligen. Die Lehrkräfte beschreiben aber durchaus auch Herausforderungen, z.B. wenn Kinder in einer Sprache eine Übersetzung nicht wissen oder die jeweilige Schrift­sprache nicht beherrschen. Hier ist die Dauer der MIKS-Qualifizierung von Vorteil: Je mehr Er­fahrungen gemacht werden und je mehr die Kinder erleben, dass es sich nicht um ein ein­maliges Projekt handelt, umso selbstverständlicher wird der Einbezug von Mehrsprachigkeit im Unterricht und Schulalltag. So fordern Kinder von sich aus mehrsprachige Rituale ein und helfen sich untereinander und den Lehrkräften, wenn es um Übersetzungen und Aussprache geht. Wenn Mehrsprachigkeit in der Schule sichtbar und hörbar gemacht wird, wird der Umgang mit vielen Sprachen beim Lernen und im Alltag immer wieder thematisiert. [68]

Das Zitat einer Lehrerin, die zunächst sehr skeptisch hinsichtlich des Einbezugs von Mehrsprachigkeit war, illustriert abschließend, wie die Teilnehmenden der MIKS-Qualifizierung den partizipativen Transfer erleben: [69]

Frau K. bedankt sich [bei den beiden Fortbildnerinnen] für die Reflexion. Sie sagt: „Die Qualifizierung macht Spaß. Man lernt etwas und man merkt, Sie überlegen mit uns zusammen. Es gibt kein vorge­fertigtes Konzept, das wir erarbeiten sollen und das Sie aber schon vor sich liegen haben.“ Frau K. betont, dass ihr gerade das gemeinsame Nachdenken mit den Fortbildnerinnen wichtig sei und Spaß mache und bedankt sich nochmal. „Toll!“ (Beobachtungsprotokoll vom zweiten Reflexionstag in einer MIKS-Schule)

[70]

MIKS wurde in zwei Laufzeiten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert: MIKS I (2013-2016) und MIKS II (2016-2019). Forschungsdaten aus der ersten Förderphase sind im Forschungsdatenzentrum (FDZ) Bildung bereitgestellt: www.fdz-bildung.de/studiendetails.php? id=291 (MIKS-Fragebogen für das pädagogische Personal sowie anonymisierte und vollständig transkri­bierte Versionen der Interviews mit den Schulleitungen) sowie unter Fürstenau, Sara (2016): Multilingua­lism as Field of Action in Intercultural School Development (MIKS). GESIS Data Archive, Cologne. ZA6255 Data file Version 1.0.0, doi:10.4232/1.12706
Da das MIKS-Projekt in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde, sind hier auch landesbezogene Ge­setzestexte angegeben.
Das ‚Sprachenporträt‘ ist eine Körpersilhouette, in die eine Person alle Sprachen farbig einzeichnet, die sie kann.

Literatur

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Kontakt:

Imke Lange, Universität Hamburg, Allgemeine, Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft (EW1), Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg
E-Mail: miks.ew@uni-hamburg.de

Zitation:

Lange, I. (2019). MIKS - ein inklusives Professionalisierungs- und Schulent­wicklungskonzept im Handlungsfeld Mehrsprachigkeit. QfI - Qualifizierung für Inklusion, 1(1), doi:

Eingereicht:

01.04.2019