Für die inklusionsbezogene Gestaltung von Unterricht sind vielfältige Kompetenzen erforderlich, die Lehramtsstudierende im Hinblick auf ihr zukünftiges Berufsfeld erwerben müssen (vgl. z. B. Scherer,
Für das Lehramtsstudium ergibt sich damit die Aufgabe, Studierenden Angebote zu machen, entsprechende Kompetenzen zu erwerben, damit sie auf der Basis einer Grundqualifizierung angemessen vorbereitet in den lebenslangen Prozess der Professionalisierung starten können, der von einer stetigen Weiterentwicklung z. B. auf der Basis von Reflexion, der Auseinandersetzung mit Krisen oder des gezielten Wissensausbaus durch Fortbildung geprägt ist (vgl. z. B. Terhart,
In diesem Beitrag werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie mathematikdidaktische Lehrveranstaltungen in der ersten Phase der Lehrer*innenbildung so gestaltet werden können, dass einerseits grundlegende diagnostische Kompetenzen bezogen auf das Fach Mathematik aufgebaut werden, die Studierenden anderseits durch die Konzeption der Veranstaltungen einen Professionalisierungsprozess durchlaufen und reflektieren, der bezogen auf das lebenslange Lernen als prototypisch betrachtet werden kann. Empirisch wird dies mit Hilfe der individuellen Selbsteinschätzung des Kompetenzerwerbs der Studierenden betrachtet.
Soll der Heterogenität in einem inklusiven Fachunterricht Rechnung getragen werden, sind eine geeignete, mathematikdidaktisch fundierte Diagnostik und diagnosebasierte Förderung von zentraler Bedeutung (vgl. Schäfer & Rittmeyer,
Eine Diagnose beschreibt dabei einen Ist-Zustand und stellt die Basis für eine Förderung dar, die allerdings nicht direkt aus der Diagnose abgeleitet werden kann. Förderung sowie der Unterricht insgesamt verfolgt jedoch immer ein Ziel, d. h. einen Soll-Zustand (vgl. Moser Opitz,
Lehrkräfte müssen also in der Lage sein, sowohl bei der Durchführung als auch bei der Auswertung und den Folgerungen für die Förderung kompetent zu agieren, und insbesondere sind fachliche und fachdidaktische Kompetenzen erforderlich, um Diagnosen durchzuführen, zu interpretieren und zu reflektieren sowie generell Lernprozesse im Fachunterricht angemessen zu initiieren, zu begleiten und diagnosegeleitet zu evaluieren. Zentral sind dabei Kenntnisse über mathematische Vorstellungen, Vorgehensweisen und Entwicklungen von Lernenden sowie über typische Hürden, die dabei überwunden werden müssen (vgl. Häsel-Weide & Prediger,
Die Entwicklung von Expertise für (inklusiven) Mathematikunterricht bedarf des Aufbaus und der (reflexiven) Vermittlung zwischen unterschiedlichen Wissensvorräten wie pädagogischem, fachwissenschaftlichem und fachdidaktischem Wissen und reflektierter Praxiserfahrung. Für die Professionalisierung sind die unterschiedlichen Wissensformen in Verflechtung mit Erfahrungswissen aufzubauen und reflexiv miteinander in Beziehung zu setzen (vgl. Baumert & Kunter,
Der Bereich Wissen wird in Anlehnung an Baumert und Kunter (
Eine Erläuterung und Diskussion des Modells hinsichtlich der inklusiven Hochschullehre findet sich bei Filipiak (
Aktuelle Arbeiten der Mathematikdidaktik (bspw. Geisen,
Studienergebnisse zu Diagnosekompetenzen von Lehrkräften verdeutlichen, dass Lehrkräfte mathematische, mathematikdidaktische und pädagogische Wissensgrundlagen nutzen und dies Einfluss auf deren eingenommene Perspektive in der Wahrnehmung, Interpretation und Gestaltung von Unterricht hat (vgl. Hoth,
Neben der Erhebung diagnostischer Kompetenzen bei Lehrkräften wird als bedeutsam erachtet, wie der Erwerb bzw. die Entwicklung innerhalb universitärer Lehrveranstaltungen angeregt werden kann (vgl. Philipp,
In Bezug auf die Lehrer*innenbildung verweisen die Studien insgesamt auf die Sensibilisierung für die Wichtigkeit fachdidaktischer Theorien und mathematikdidaktischen Wissens sowie auf die Reflexion der Angemessenheit der Diagnosemethode, das Verständnis von Diagnose als mehrdeutigen Prozess und den kritischen Umgang mit eigenen Urteilen. In den Blick genommen werden sollte darüber hinaus auch die Beachtung sozialer Beziehungen zwischen an Diagnose und Förderung teilnehmenden Personen, denn diesen Aspekt beachteten Studierende nur wenig (vgl. Pott,
Die inhaltliche Analyse des Gegenstands ‚Diagnose und Förderung im Fach Mathematik’ sowie das zugrundeliegende Professionalisierungsmodell und der aktuelle Forschungsstand zeigen die Notwendigkeit einer vernetzten Qualifizierung von Lehrkräften im Studium auf. Der Wissensaufbau ist mit konkretem Handeln in diagnostischen und fördernden Situationen zu verknüpfen und mit den Studierenden fallbezogen zu reflektieren, um den Prozess der Professionalisierung an konkreten Situationen exemplarisch zu erleben. Wie oben bereits ausgeführt, stellt ‚Diagnose und Förderung’ ein festgeschriebenes Element im LABG dar (vgl. auch Häsel-Weide & Prediger,
Die hier vorgestellte, explorative Studie ist verortet in einem Kooperationsprojekt
Dabei werden folgende Fragestellungen verfolgt, wobei erstere im Fokus dieses Beitrags steht:
Inwiefern nehmen angehende Lehrkräfte eine eigene Lernentwicklung im Rahmen der Veranstaltung wahr, und wie schätzen sie ihren Kompetenzzuwachs ein?
Welche Gestaltungselemente der Veranstaltung werden als lernförderlich wahrgenommen und als entscheidend für den Kompetenzerwerb angegeben?
Im Kontext der Studie wurden drei Lehrveranstaltungen (weiter)entwickelt und beforscht, die als gemeinsamen Schwerpunkt den fachbezogenen Kompetenzerwerb im Bereich Diagnose und Förderung aufweisen und die den Wissenserwerb mit Handlungserfahrungen kombinieren: Seminar ‚Diagnose und Förderung: Schüler*innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf’ (LV-A, Universität Duisburg-Essen), Seminar ‚Diagnose und Förderung: Mathematische Förderung in der Schuleingangsphase – An individuelle Lernstände im Zahlenraum bis 20 anknüpfen’ (LV-B, Universität Duisburg-Essen) und Seminar ‚Zahlenstark – Lernentwicklungen diagnostizieren und fördern’ (LV-C, Universität Paderborn). Im Folgenden werden die zentralen konzeptionellen Merkmale der drei Lehrveranstaltungen vergleichend dargestellt.
Alle drei Veranstaltungen werden durch einen inhaltlichen Block zu den Grundlagen ‚Schwierigkeiten beim Mathematiklernen’ und zu diagnostischen Methoden im Mathematikunterricht vorbereitet. Daran anschließend wird eine videographierte Diagnose ausgewertet, die zuvor von den Studierenden selbst (LV-A, LV-B) bzw. von der Seminarleitung (LV-C) durchgeführt wurde und bei dem ein Beobachtungsleitfaden (LV-B, LV-C; vgl. Häsel-Weide & Nührenbörger,
Mittels eines Fragebogens wurden die angehenden Lehrkräfte zu einer retrospektiven Selbsteinschätzung der im Rahmen der Veranstaltung erweiterten Kompetenzen aufgefordert. Der Fragebogen enthielt eine Kombination aus drei offenen Fragen und weiteren Items zur Einschätzung der eigenen Kompetenzentwicklung, basierend auf einer vier-stufigen Likert-Skala (1 = trifft zu; 4 = trifft nicht zu; vgl. Del Piero et al.,
Zur Erfassung der lernförderlichen Aktivitäten der Veranstaltungen wurden die Studierenden aufgefordert, für jedes Item aus einer vorgegebenen Liste die Elemente der Lehrveranstaltung anzugeben, die ihrer Einschätzung nach zu dieser Kompetenzerweiterung beigetragen haben. Gemäß den Strukturelementen der Veranstaltung zählten dazu u. a. der Input der Lehrenden, die Planung der Diagnose & Förderung, die Beobachtung der Aktivitäten des Kindes, die eigene individuelle Videoanalyse oder auch die Präsentation & gemeinsame Analyse im Seminar (vgl. auch Scherer,
Um die persönlichen Schwerpunkte des Kompetenzerwerbs unbeeinflusst von den vorgegebenen geschlossenen Items zu erfassen, wurde zu Beginn des Fragebogens das offene Item „
Ein solches Vorgehen der Selbsteinschätzung erlaubt nur bedingt, von den Einschätzungen auf tatsächliche Kompetenzen zu schließen, die z. B. über Tests erhoben werden würden. „Dies bedeutet nicht, dass die in Selbsteinschätzung enthaltenen Informationen generell uninteressant oder unnütz wären; es muss lediglich beachtet werden, dass es sich hierbei nicht um eine Messung der interessierenden Kompetenz selbst handelt, sondern um ein diesbezügliches Selbstkonzept“ (Hartig & Jude,
Die Fragenbögen wurden im Rahmen des Projekts in mehreren Schleifen überarbeitet und im Sommersemester 2018 und 2019 an jedem Standort durchgeführt. Für die Auswertung können 56 Fragenbögen herangezogen werden (LV-A, n = 13; LV-B, n = 12; LV-C, n = 31).
Zur Auswertung des offenen Items
Die Freitexte von 55 Studierenden
Handlungspotenziale und Wissensfacetten wurden gemäß dem Modell der Professionalisierung unterschieden, indem Aussagen dem Wissen zugeordnet wurden, wenn von Erkenntnissen gesprochen wurde, während Aussagen als Handlungspotenziale kodiert wurden, wenn die Studierenden Fähigkeiten beschrieben, die sie in den konkreten Handlungssituationen aufgebaut hatten. Damit ergaben sich auf der ersten Ebene folgende Kategorien (vgl. Tab. 1).
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Aussagen bezogen auf Kenntnisse und Wissenselemente | Aussagen bezogen auf Fähigkeiten und Fertigkeiten | Aussagen bezogen auf Erkenntnisse zum eigenen Lernprozess |
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„Außerdem habe ich gelernt, was für Kompetenzen in den verschiedenen mathematischen Bereichen von Kindern versch. Alters erreicht werden sollen“„Welche Unterbereiche zu den jeweiligen mathematischen Kompetenzen (z. B. Stellenwertverständnis) gehören“ | „In der Fördersitzung flexibel reagieren können und spontan Aufgaben entwickeln“„Diagnoseinterview was durchgeführt wurde auszuwerten und daraus Lernziele aufzustellen“ | „Wie ich selbst wirke und besser auf das Kind eingehen kann durch andere Formulierungen“„Anfangs dachte ich mir, dass ich mir einfach Aufgaben ausdenken kann und diese mit dem Schüler/in bearbeite. Erst nach den ersten Seminar-Sitzungen habe ich gelernt, dass diese aber auch Sinn ergeben müssen.“ |
Auf einer zweiten Ebene wurden die Wissenselemente und Handlungspotenziale bezogen auf die Aspekte von Diagnose und Förderung genauer analysiert. Dabei wurden in einer Kombination von deduktiven und induktiven Vorgehensweisen folgende Facetten des Wissens und der Handlungspotenziale unterschieden (vgl. Tab. 2; auch Pott,
Bei der Codierung der Aussagen zeigten sich zwei unerwartete Phänomene. Einerseits nannten Studierende die Begegnung mit Kindern mit (sonder)pädagogischem Förderbedarf als Aspekt des Gelernten, i. d. R. ohne dass in den Aussagen Wissen über das Konstrukt oder Bezüge zum mathematischen Lernen deutlich wurden, sondern vor allem die Erfahrung genannt wurde („Ich persönlich habe zum 1. Mal eine Förderschule besucht (sonst waren es nur Regelschulen)“; „Auseinandersetzung mit Kindern, die einen Förderschwerpunkt haben“). Anderseits wurden Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens formuliert, die über den Inhaltsbereich Diagnose und Förderung hinausgingen und deshalb gesondert kategorisiert wurden („Sich Literatur zu dem Thema besorgen – eigenen Wissenshorizont erweitern“). Aufgrund der Vielzahl der Aussagen (n = 36) zu diesen Themen wurden dazu zwei eigene Kategorien vergeben.
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Mathematikdidaktische Theorien, Konzepte & Prinzipien | |
Wissen über Schwierigkeiten/heterogene Herangehensweisen | |
Prinzipien und Methoden der Diagnose (mathematischer) Lernprozesse | Diagnose/Evaluation (mathematischer) Lernprozesse |
Wissen über die Planung von Unterricht/Förderung | Planung von Unterricht/Förderung |
Wissen über die Orchestrierung von Unterricht/Förderung | Orchestrierung von Unterricht/Förderung |
Allgemeine Aussagen | Allgemeine Aussagen zur Förderung |
Umgang mit Eltern |
Ausgewertet werden konnten insgesamt die in Abschnitt 5.1 genannten 56 Fragebögen, und es erfolgte die Auswertung von 7 Ankeritems (bzw. sprachlich minimal abweichenden Items der ersten Version) zu den Kategorien Wissen (3 Items), Handlungspotenziale (3 Items) und Wertorientierung (1 Item), die in allen drei Lehrveranstaltungstypen zum Einsatz kamen. Verglichen wurde einerseits für jedes Item die Zielerreichung vor und nach dem Seminar durch retrospektive Selbsteinschätzung („
Auch wenn hier nur eine geringe Stichprobe vorliegt, so können die Ergebnisse – flankierend zu den Ergebnissen des offenen Items – erste Hinweise auf die Kompetenzeinschätzungen der Studierenden in den drei unterschiedlichen Lehrveranstaltungen liefern. Diese Vergleiche sind natürlich sehr vorsichtig zu interpretieren.
Die Auswertung des offenen Items führt zu Erkenntnissen, in welchen Bereichen die Studierenden ihre eigene Entwicklung wahrgenommen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die über den Impuls „
Aufgrund der selbst durchgeführten Diagnose und diagnosegeleiteten Förderung in den Lehrveranstaltungen ist zu erwarten, dass die Studierenden auf der Ebene der Handlungspotenziale profitiert haben. Die Auswertung in Abbildung 3 zeigt, dass die Studierenden zu etwa gleichen Teilen Aspekte formulierten, die der Ebene der Wissensfacetten (41 % der codierten Aussagen) und den Handlungspotenzialen (42 % der codierten Aussagen) zugeordnet wurden. 11 % der Aussagen thematisierten forschende Selbstreflexionen. Die Ergebnisse weisen damit grob darauf hin, dass die Studierenden einschätzen, sowohl auf der Ebene von Wissen Neues gelernt als auch konkrete Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben zu haben. Zudem notierten sie Reflexionen über sich und ihre Rolle als Lehrkraft oder ihren Lernprozess und diesbezügliche Erkenntnisse. Dieser Aspekt ist zwar gemäß dem zugrundeliegenden Modell der Professionalisierung nicht klassisch der Disposition zuzuordnen, wurde hier aber explizit aufgenommen, um deutlich zu machen, dass die Reflexion des eigenen Lernens und die Notwendigkeit des Weiterlernens ein entscheidender Aspekt für die Expertise von Lehrkräften darstellt und die Studierenden im Rahmen der Veranstaltung entsprechende Erfahrungen machen konnten.
Während sich im Rahmen von Wissen ungefähr gleich viele Aussagen zu den Bereichen Diagnose (Prinzipien und Methoden der Diagnose (mathematischer) Lernprozesse) und zur Planung von Förderung fanden, können im Bereich der Handlungspotenziale doppelt so viele Aussagen zur Förderung identifiziert werden, wenn die allgemeinen Aussagen zur Förderung (z. B. „Auswahl, Legitimation u. Umsetzung von Unterrichtgegenständen/Fördermaterial“), zur Planung von Förderung („Ich habe gelernt, worauf ich bei der Aufgabenkonstruktion achten muss, um auch den gewünschten Erfolg zu bekommen“) und zur Orchestrierung von Förderung („Flexibler im Umgang mit Fördersituationen werden: Zeitmanagement, spontane Aufgaben einschieben oder weglassen“) zusammengefasst werden. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Zuwachs von Fähigkeiten in der diagnosegeleiteten Förderung von den angehenden Lehrkräften eher dem Bereich der Förderung zugeordnet wurde, während die in der Förderung erfolgte Diagnose entweder nicht so prominent wahrgenommen wurde oder der Kompetenzzuwachs als weniger groß oder weniger entscheidend empfunden wird. Der Anteil der Nennung an Wissenszuwachs im Bereich der mathematikdidaktischen Konzepte, Theorien und Methoden scheint gering zu sein, dabei ist jedoch zu beachten, dass die Studierenden aufgrund der Grundlegung der fach- und fachdidaktischen Konzepte in vorausgegangenen Semestern, vertiefte Kenntnisse möglicherweise als weniger notationswürdig empfinden als neu erworbene Handlungspotentiale.
Die Aspekte, die als Diagnose (mathematischer) Lernprozesse die Wissensfacette ausmachen, und von den Studierenden genannt werden, beziehen sich auf
Prinzipien und Methoden der Diagnose
Kenntnis von (mathematikdidaktischen) Diagnoseinstrumenten, ihrer Charakteristik und Vor- und Nachteilen
Trennung zwischen Beobachtung und Deutung
und liegen damit auf den Ebenen der konkreten Anwendung von Diagnosen sowie auf der Ebene der diagnostischen Deutung (vgl. Pott,
Deutung der Diagnoseergebnisse hinsichtlich der gezeigten mathematischen Kompetenzen
Entwicklung von Fördermaßnahmen auf der Grundlage des Wissens aus den gedeuteten mathematischen Fähigkeiten und Schwierigkeiten
Dabei bleiben in den Aussagen der Studierenden die konkreten mathematischen Gegenstände, Aussagen, Vorstellungen oder Fehler – also die spezifischen mathematischen Schwierigkeiten – unerwähnt (vgl. Abb. 3). Insgesamt machen die Angaben zu spezifischen Vorgehensweisen von Lernenden, wozu auch typische Fehler gehören, mit 3 % nur einen sehr kleinen Teil der Angaben aus und lassen sich zudem den von der konkreten Situation recht unabhängig beschriebenen Wissenselementen zuordnen (z. B. „Herangehensweisen zum Erlernen der Subtraktion“). Auch hier ist zu vermuten, dass diese spezifischen mathematischen Konkretisierungen durch die Verortung der Lehrveranstaltungen für die Studierenden als weniger notationswürdig erscheinen.
Betrachtet man die Einschätzung getrennt nach Seminaren (Abb. 4), so zeigt sich, dass die Anteile der einzelnen Facetten der Disposition zwischen den einzelnen Seminaren durchaus unterschiedlich sind. Dabei ist die Verteilung zwischen den Veranstaltungen LV-B und LV-C ähnlich, obwohl sie an unterschiedlichen Standorten mit Studierenden unterschiedlicher Lehrämter durchgeführt wurden. Auffällig ist, dass in LV-A der Anteil der Aussagen zum Förderschwerpunkt im Vergleich zu den anderen Seminaren deutlicher höher ist. Dies ist vermutlich darin begründet, dass in dieser Veranstaltung Studierende des Lehramts Grundschule explizit aufgefordert wurden, mit einem Kind mit (diagnostiziertem) sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf zu arbeiten, was für viele Studierende eine bewusste Erstbegegnung darstellte und entsprechend als bedeutend rückgemeldet wurde. In den Veranstaltungen LV-B und LV-C wurden hingegen Kinder mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen im Heterogenitätsspektrum inklusiver Settings betrachtet, ohne dass eine Statusdiagnose vorlag oder thematisiert wurde.
Betrachtet man ergänzend die Auswertungen der geschlossenen Items, zeigen sich in allen drei Lehrveranstaltungen bei den ausgewerteten 7 Ankeritems zu den Bereichen Wissen, Handlungspotenziale und Wertorientierungen signifikante Unterschiede und dabei starke bis sehr starke Effekte bei der eigenen Einschätzung der Kompetenzentwicklung. Abbildung 5 und 6 zeigen exemplarisch die Ergebnisse zweier Items, die Entsprechungen der Facetten Wissen und Handlungspotenziale repräsentieren. Abbildung 5 zeigt die Ergebnisse zum Item Wissen (Signifikanz: LV-A: .010; LV-B: .023, LV-C: .000; Effektstärke: LV-A: -0.7114, LV-B: -0.6556, LV-C: -0.8346), Abbildung 6 die Ergebnisse zum entsprechenden Item Handlungspotenzial (Signifikanz: LV-A: .007, LV-B: .002, LV-C: .000; Effektstärke: LV-A: -0.7527, LV-B: -0.8761, LV-C: -0.8714).
In allen drei Lehrveranstaltungen wird der eigene Kompetenzzuwachs bei Wissen und Handlungspotenzialen von den Studierenden hoch eingeschätzt. Insgesamt wird jedoch die final erreichte Kompetenz im Bereich des Wissens (vgl. Abb. 5; nachher) höher eingeschätzt als im Bereich der Handlungspotenziale (vgl. Abb. 6; nachher). Dies könnte einerseits mit herausfordernden Erlebnissen innerhalb der Performanz im Bereich der Handlungsplanung und Handlung in der Situation (vgl. Abb. 1) und damit der Wahrnehmung des eigenen (beginnenden) Professionalisierungsprozesses und des Aufbaus von Handlungspotenzialen erklärt werden. Andererseits könnten entsprechende Wissenselemente als Voraussetzung für erfolgreiches Handeln erlebt werden, und diesbezügliche Erkenntnisse könnten dazu führen, dass entsprechende Kompetenzen in diesem Bereich als höher bzw. gesicherter erlebt werden. Wie bereits oben angemerkt, sind diese Ergebnisse auf Grund der geringen Stichprobe mit aller Vorsicht zu interpretieren.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die angehenden Lehrkräfte einschätzen, dass sie ihre Kompetenzen bzgl. Diagnose und Förderung erweitern konnten, und zwar sowohl ihr Wissen als auch ihre Handlungspotenziale. Der Einbezug der Praxiserprobungen bzw. konkreter Handlungserfahrungen und entsprechender Reflexionen ermöglicht offensichtlich auch Kompetenzerweiterungen im Bereich der Handlungspotenziale. Dies wäre aber mit fachdidaktischen Lehrveranstaltungen ohne Praxiserprobungen abzugleichen. Die Tatsache, dass es keine klaren Unterschiede zwischen den drei Lehrveranstaltungen gibt, verwundert zwar auf den ersten Blick, kann aber damit erklärt werden, dass die Ausrichtung zwar von verschiedenen Dozent*innen durchgeführt wurden und individuelle Schwerpunkte z. B. bei den mathematischen Inhalten vorgenommen wurden, diese Lehrenden allerdings bei der Grundanlage ihrer praxisbezogenen Veranstaltung durch die gemeinsame Entwicklung der Evaluationsinstrumente kooperierten und in den Veranstaltungen abgestimmte Ziele verfolgten (vgl. Abschnitt 4.2). Die häufige Nennung der Erfahrung mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Seminar A zeigt jedoch, dass auch unterschiedlich bedeutsame Erfahrungen erfasst werden konnten (vgl. Abb. 4).
Forschungsmethodisch sind Limitationen in der insgesamt geringen Anzahl der Fragebögen sowie unterschiedlichen Anzahl aus den einzelnen Lehrveranstaltungen zu sehen, was vor allem bei der Gesamtanalyse zu berücksichtigen ist (Abb. 3). Zudem ist die bei den geschlossenen Items als auch bei der Auswertung der offenen Frage vorgenommene Trennung zwischen Wissen und Handlungspotenzialen insofern kritisch zu betrachten, als es sich dabei um ein theoretisches Konstrukt handelt (vgl. Kaiser, Seitz & Slodczyk,
Das hier genutzte Professionalisierungsmodell ist in weiteren Studien bezüglich der fachbezogenen Diagnose und Förderung (im inklusiven Mathematikunterricht) genauer zu diskutieren. Die fehlende fachbezogene Fassung von Diagnose und Förderung im genutzten Modell führte zu einer eigenen Ausdifferenzierung von Wissensfacetten und Handlungspotentialen, da Diagnose und Förderung bezogen auf das fachliche Lernen nicht gegenstandsfrei gedacht werden können.
Kompetenzen hinsichtlich diagnosegeleiteter Förderung sind für die inklusionsbezogene Gestaltung von Unterricht zentral, und ein solcher Kompetenzerwerb muss im Studium durch entsprechende, insbesondere auch fachbezogene, Lehrveranstaltungen ermöglicht werden. Dabei können nicht nur Kompetenzen im Bereich des Wissens, sondern auch Handlungspotenziale erworben werden, wenn Lehrveranstaltungen auf eine Vernetzung von Theorie und Praxis setzen und diese exemplarisch erfahrbar machen. Die Studierenden haben dann die Möglichkeit, bereits in der ersten Phase der Lehrer*innenbildung den Professionalisierungsprozess zu durchlaufen. Dabei erscheint wichtig, dass sie diesen mitunter auch als krisenhaft erleben, z. B. wenn geplante Förderangebote nicht im intendierten Sinne zu erfolgreichen Lernprozessen führen oder trotz einer erfolgten Diagnose viele Fragen offen bleiben, denn gerade das krisenhafte Erleben zeichnet die Professionalisierung von Lehrkräften aus (vgl. Helsper,
Gefördert als Lehrinnovationund angebunden an ein Kooperationsprojekt der Universitäten Duisburg-Essen und Paderborn (
Ein/e Student*in aus LV-A hat diese Frage nicht beantwortet.