Der vorliegende Beitrag beschreibt den theoretischen Hintergrund und das Design des Projekts GLUE (Gemeinsame Lern-Umgebungen Entwickeln). Die Konzeption der Gemeinsamen Lern-Umgebungen zielt im Sinne der Prinzipien des ‚Universal Design of Learning‘ (Hall, Meyer & Rose,
Das Projekt geht der Frage nach, wie sich die Kompetenzentwicklung von berufserfahrenen Lehrkräften der allgemeinen Schule und für sonderpädagogische Förderung durch Fortbildungsangebote zum inklusiven Mathematikunterricht wirksam unterstützen lässt. Hierzu wurde ein Blended-Learning-Angebot zur Entwicklung gemeinsamer Lernumgebungen für alle Kinder einer Lerngruppe erarbeitet, die sich auch von mehreren Lehrkräften gemeinsam entwickeln lassen.
In diesem Beitrag werden der theoretische Hintergrund, die Konzeption und die methodische Anlage des Projekts vorgestellt. Kapitel 1 befasst sich mit Differenzieren und Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe, Kapitel 2 diskutiert zentrale Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerfortbildungsmaßnahmen sowie zu Blended-Learning-Angeboten. Im dritten Kapitel werden auf dieser Grundlage die Ziele des Projekts (Kap. 3.1), die Inhalte und die Struktur des Fortbildungsangebots (Kap., 3.2), die Forschungsfragen (Kap. 3.3) und das Design der Interventionsstudie dargestellt (Kap. 3.4). Die Wirksamkeit wird in einem ausbalancierten Prä-Post-Follow-Up-Test-Design im Vergleich zu unbegleiteten Online-Angeboten evaluiert, die Ergebnisse sollen in einer Folgepublikation kommuniziert werden.
This paper describes the theoretical background and the design of the GLUE project (Gemeinsame Lern-Umgebungen Entwickeln; Developing Collaborative Learning Environments). In line with the principles of ‚Universal Design of Learning‘ (Hall, Meyer & Rose,
The project addresses the question of how the development of competence of experienced teachers of different professions can be effectively supported by inservice education courses for inclusive mathematics education. For this purpose, a blended learning course on the design of collaborative learning environments has been developed.
In this article, the theoretical background and the research design of the project will be presented. Section 1 will discuss the topics of differentiation and promotion in primary school mathematics education. Section 2 will introduce key findings on the effectiveness of teacher training and blended learning services. In the third chapter, the objectives of the project (Section 3.1), the content and structure of the inservice course (Section 3.2), the research questions (Section 3.3) and the design of the intervention study will be presented (Section 3.4). The effectiveness shall be evaluated in a balanced pre-post follow-up test design by comparison with unaccompanied online offers in an investigation to be reported on in a future publication.
Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte können sich positiv auf das Wissen und Handeln im Unterricht auswirken, wenn sie über einen längeren Zeitraum verlässlich angeboten werden, wenn sie den Alltag der Beteiligten aufgreifen, fachspezifische Lernprozesse von Lernenden thematisieren, relevantes Wissen und Erfolg versprechende Handlungsstrategien vermitteln, selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen vorsehen sowie kooperative Reflexionsphasen organisieren und unterstützen (Lipowsky,
Im ersten Kapitel werden aus der Perspektive des Faches Mathematik die Problematik von Lernschwierigkeiten erörtert und die Prinzipien der natürlichen Differenzierung und substanziellen Lernumgebung auf das gemeinsame Lernen im inklusiven Unterricht übertragen. Im zweiten Kapitel werden Gestaltungsmerkmale erfolgreicher Lehrerfortbildungen erläutert und es wird aufgezeigt, wie sich aufeinander abgestimmte Online-Angebote und Präsenzveranstaltungen gewinnbringend kombinieren lassen. Das dritte Kapitel stellt das im Rahmen des Projekts entwickelte Fortbildungsvorhaben hinsichtlich seiner Ziele, Inhalte und Arbeitsweisen vor. Der Beitrag endet mit einem Ausblick auf zu erwartende Evaluationsdaten, über die in einer Folgepublikation zu berichten sein wird.
Angesichts unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und -potentiale der Schülerinnen und Schüler finden sich in der Grundschule und weiterführenden Schule stets Kinder, die weniger erfolgreich lernen als andere. Mit Blick auf besondere Schwierigkeiten von Lernenden im Fach Mathematik weisen die Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien darauf hin, dass dieser Anteil bemerkenswert groß ist. Beispielsweise zeigt die TIMSS-Studie (Selter et al.,
Die besonderen Schwierigkeiten von Lernenden beim Erwerb mathematischen Wissens, deren Ursachen und Hintergründe sowie deren diagnostische Erfassung und Förderung stehen seit mehr als 20 Jahren vermehrt im Fokus mathematikdidaktischer Forschung (Lorenz & Radatz,
Aus fachdidaktischer Perspektive sind insbesondere die mathematischen Inhalte von Bedeutung, bei deren Erwerb besondere Schwierigkeiten auftreten und die zugleich als Schlüsselstellen (als stoffliche Hürden) bedeutsam für den Aufbau und die Weiterentwicklung mathematischen Wissens sind. Es geht somit weniger um die Erfassung von spezifischen Störungen einzelner Individuen mit Blick auf typisierende Bezeichnungen wie „Dyskalkulie“ oder „Rechenstörung“. Die spezifischen Inhalte weisen diejenigen Basiskompetenzen aus, die sich letztlich als notwendige Voraussetzung für die mathematische Lernentwicklung herausstellen, „um die herum sich das herkömmliche mathematische Wissen und Können erst systematisieren kann“ (Meyerhöfer,
Als zentraler Basisstoff gelten (1) das Verständnis von Zahlen und deren (dekadische) Beziehungen zueinander (z.B. im Anfangsunterricht assoziative Verknüpfungen von Zahlen mit Bezug zur 5 oder zur 10 sowie ordinale Folgen der Zahlenreihe, in der frühen Sekundarstufe hingegen Vorstellungen zu Dezimal- und Bruchzahlen), (2) das Verständnis der grundlegenden Rechenoperationen und deren operative Beziehungen sowie (3) langfristig das Verständnis von Variablen und Termen (z.B. Häsel-Weide & Nührenbörger,
Wenn aber Kinder den mathematischen Basisstoff nicht bedeutungsvoll erfassen und keinen ihren individuellen Lernvoraussetzungen und -potentialen entsprechenden adaptiven Zugang zur Bearbeitung, Erkundung und Sicherung erhalten, können Inhalte zu kritischen Stellen in der mathematischen Lernentwicklung werden. Zwar zeigen sich die Schwierigkeiten im Fach Mathematik in unterschiedlicher Form und können auch in unterschiedlicher Ausprägung und Kontinuität auftreten, doch gilt gleichwohl grundsätzlich: Kinder mit mathematischen Lernschwierigkeiten greifen bei der Bearbeitung mathematischer Aufgaben auf persönlich bedeutsame und subjektiv sicher erscheinende sowie oftmals auswendig gelernte Verfahren zurück. Beispielsweise neigen diese Kinder zum verfestigten zählenden Rechnen und zum Aufbau einer einseitig ordinal geprägten Zahlvorstellung, ohne zugleich auch Zahlen kardinal und relational zu denken und Zahlbeziehungen beim Rechnen zu nutzen. Im weiteren Lernprozess greifen sie schließlich auf spezifische Rechenprozeduren zurück, ohne diese mit bedeutungsvollen dekadischen Vorstellungen und flexiblen Rechenwegen zu verknüpfen (Moser Opitz et al.,
Mit Blick auf die Förderung ist es aus fachdidaktischer Sicht weniger ratsam, den mathematischen Basisstoff zu simplifizieren oder die inhaltliche Erkundung durch kalkülbezogene Verfahren zu umgehen, sondern vielmehr den Fokus auf eine verstehensorientierte, kommunikative und diagnosegeleitete Förderung zu setzen (Häsel-Weide & Nührenbörger,
Um den besonderen mathematischen Lösungs- und Lernprozessen von einzelnen Kindern gerecht zu werden, kann im Unterricht auf Formen der inneren und äußeren Differenzierung zurückgegriffen werden. Aufgabenstellungen können so in ihrer Qualität oder Quantität differenziert angeboten, aber auch in Form spezifischer Unterstützungen oder diverser Sozialformen bereitgestellt werden. Für die individuelle Förderung im Fach Mathematik zeigen allerdings Krauthausen und Scherer (
Alle Kinder erhalten das gleiche Lernangebot.
Das Lernangebot ist inhaltlich ganzheitlich ausgelegt und bietet eine hinreichend notwendige Komplexität.
Die Aufgaben enthalten innerhalb der didaktischen Rahmung niedrige Eingangsschwellen ebenso wie weiterführende Herausforderungen und Fragestellungen auf unterschiedlichem Niveau zum Lerngegenstand sowie auch Freiraum in der Wahl der Lösungswege und Darstellungsformen.
Soziales Mit- und Voneinanderlernen ergibt sich aus der Sache heraus, indem verschiedene Zugangs- bzw. Vorgehensweisen schriftlich oder mündlich ausgetauscht werden (Krauthausen & Scherer,
Allerdings muss beachtet werden, dass das Prinzip der natürlichen Differenzierung stets auch die Lernbegleitung durch die Lehrperson impliziert (Krauthausen & Scherer
Ein dem Prinzip der natürlichen Differenzierung gerecht werdendes und für den inklusiven Mathematikunterricht tragfähiges Lernangebot stellen substantielle Lernumgebungen bereit. Denn diese beinhalten vom Fach und von den Lernaktivitäten des Kindes aus reichhaltige Bearbeitungsmöglichkeiten und Erkenntnisprozesse auf verschiedenen Fähigkeitsniveaus zu grundlegenden Themen des Mathematikunterrichts. Im Gegensatz zu einem von der Lehrperson mehr oder weniger eng geführten Unterricht ermöglichen substanzielle Lernumgebungen einen Ausgleich zwischen den fachlichen Hürden einerseits und den individuellen Möglichkeiten und Präferenzen der Lernenden andererseits (Ratz & Wittmann,
Für die Gestaltung eines inklusiven Mathematikunterrichts bietet das Prinzip der natürlichen Differenzierung eine Basis, um auch Lernende mit besonderen Unterstützungsbedarfen im Rahmen des Fachunterrichts im Klassenverband aktiv einzubinden, anstatt sie in exklusiven Einzel- oder Kleingruppen zu fördern. Denn die Ausrichtung des Unterrichts an substanziellen Lernumgebungen steht im Einklang mit den Zielen des Lernens am gemeinsamen Gegenstand in inklusiven Unterrichtssituationen (Feuser
In diesem Sinne gründen Gemeinsame Lernumgebungen (GLU) im Fach Mathematik auf fachdidaktischen und sonderpädagogischen Prinzipien. Das gemeinsame Arbeiten an einer GLU ermöglicht die interaktive Bearbeitung auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlicher Zielstellung. Der Austausch zwischen den Lernenden kann nach Wocken (
Was sind nun Merkmale effektiver Fortbildungsmaßnahmen, an denen sich das GLUE-Projekt orientiert? Methodisch werden in Bezug auf die Lehr-Lernforschung und die Forschung zur Professionalisierung Gestaltungsprinzipien definiert, nach denen die Fortbildungsangebote konzipiert, durchgeführt und evaluiert werden (Desimone et al.,
Verschiedene (Meta-)Studien formulieren empiriegestützte Kriterien für die Gestaltung effektiver Fortbildungen (Barzel & Selter,
Beim Blick auf
Bei der Identifizierung
Im Zeitalter des Internets wird Wissen zunehmend online präsentiert, denn Informationen können auf diese Weise ortsunabhängig und zeitlich flexibel genutzt, einfach und schnell sowie überaus ökonomisch an sehr viele Personen verteilt werden. Darüber hinaus ist es möglich, Texte mithilfe von Fotos, Grafiken, Ton- und Videoaufnahmen anzureichern, all diese Repräsentationsformen interaktiv miteinander und darüber hinaus mit externen Ressourcen zu verlinken. Alle Materialien können von interessierten Rezipienten jederzeit nichtlinear, themenspezifisch und in individuellem Tempo abgerufen und bearbeitet werden und es besteht sogar die Möglichkeit, technisch gestützte Rückmeldungen zu geben.
Sind solche Angebote effektiv? In einer Metaanalyse von Bernard et al. (
In Kapitel 1.2 wurde gezeigt, dass das Mathematiklernen als höchst individueller, aktiver und konstruktiver Prozess der Schülerinnen und Schüler aufzufassen ist, der in substanziellen Lernumgebungen über natürliche Differenzierung die Vielfalt der Lernenden konstruktiv nutzen sollte. Die Arbeit der Lehrperson besteht darin, die Lernenden mit geeigneten Aufgaben anzuregen und das individuelle Lernen adaptiv zu unterstützen. Das Unterrichten lässt sich folglich nicht auf routinierte Handlungen reduzieren, es erfordert einfühlsames, mathematisch korrektes und mathematikdidaktisch fundiertes, flexibles und reflektiertes Handeln. Wenn Lehrerfortbildung wirksam sein soll, muss sie dieser Komplexität entsprechen. Das Online-Angebot kann zwar interaktive multimediale Elemente anbieten, aber Reflexion lässt sich schlecht allein auf sich gestellt, aber viel besser in sozialer Interaktion vertiefen. Die Grundidee des Blended-Learning besteht darin, dass der traditionelle Präsenzunterricht so mit digitalen Angeboten und multimedialen Ressourcen verknüpft wird, dass die jeweiligen Vorteile erhalten bleiben und sich die Angebote didaktisch sinnvoll ergänzen.
Die Tabelle 1 konzipiert die erläuterten Merkmale von Fortbildungen als anzustrebende Qualitätsdimensionen und stellt ausgesuchte Realisierungsmöglichkeiten im individuellen Fernstudium und im gemeinsamen Präsenzstudium vor. Fern- und Präsenzfortbildung ergänzen sich konstruktiv, wobei die Schwerpunkte des Selbststudiums bei der Vermittlung und eigenverantwortlichen, selbstgesteuerten Erarbeitung von Informationen liegen, während die Präsenzmaßnahme ihre Stärken in der direkten Kommunikation und der Förderung von Kooperation, Reflexion und Praxistransfer findet. Es ist somit geeignet, zwei zentrale Schwierigkeiten des dezentralen Individualstudiums zu mildern: Das Problem mangelnder Studienmotivation, das sich oft bei länger andauerndem Selbststudium ohne direkte zwischenmenschliche Kontakte zu anderen Teilnehmenden einstellt, und das Problem unzureichender Lern- und Arbeitsmethoden, das manchen Teilnehmenden die erfolgreiche Bearbeitung der verfügbaren Materialien und die Nutzung bereitstehender Ressourcen erschwert (Iberer,
Welche Konsequenzen lassen sich für die Gestaltung wirksamer Lehrerfortbildungen im Blended-Learning-Format ziehen? Einerseits sollten Materialien erstellt und verteilt werden, die multimedial aufbereitet sind und jederzeit an beliebigen Orten auf höchst individuelle Art und Weise bearbeitet werden können. Andererseits sollten Präsenzveranstaltungen vorbereitet und durchgeführt werden, welche die direkte zwischenmenschliche Kommunikation und Interaktion zwischen den Studierenden und mit den Lehrenden ermöglichen. In diesen Veranstaltungen lassen sich ausgesuchte Inhalte des Online-Materials aufgreifen, vertiefen und problematisieren (Kompetenzorientierung), in exemplarischen Fällen konkretisieren (Fallbezug) und mit den Erfahrungen aus dem Unterrichtsalltag der Teilnehmenden verknüpfen. Über gezielte Aufgaben, die zum Beobachten und Experimentieren im eigenen Unterricht anregen und allein oder in multiprofessionellen Tandems zwischen den Präsenzveranstaltungen bearbeitet werden sollten, lässt sich der Transfer des Gelernten in die alltägliche Unterrichtspraxis fördern (Teilnehmerorientierung) und gemeinsam mit anderen Teilnehmenden oder den Lehrenden kritisch reflektieren und weiterentwickeln (Reflexionsförderung).
Das Forschungsvorhaben widmet sich der Frage, wie Lehrkräfte unterschiedlicher Professionen – Mathematiklehrkräfte der Primar- und Sekundarstufe sowie Lehrkräfte mit dem Schwerpunkt sonderpädagogischer Förderung – bei der Umsetzung inklusiver Bildung im Mathematikunterricht wirksam unterstützt werden können. Hierzu wurde ein Fortbildungsangebot im Rahmen eines Blended-Learning-Formats entwickelt, in dem die Lehrkräfte angeregt werden in multiprofessionellen Teams gemeinsame Lernumgebungen zu entwickeln, zu erproben und zu reflektieren. Hauptzielsetzung des Projekts ist es, im Rahmen einer Interventionsstudie die Wirksamkeit des im Rahmen des vorliegenden Forschungsvorhabens entwickelten Fortbildungsangebots im Vergleich zu einem zeitgleich angebotenen, unbegleiteten Online-Angebot in einem ausbalancierten Prä-Post-Follow-up-Test-Design zu evaluieren.
Das Entwicklungsziel des Vorhabens stellt die Erarbeitung eines evidenzbasierten Fortbildungsangebots für Lehrkräfte unterschiedlicher Professionen (s.o.) im inklusiven Mathematikunterricht dar, das auf Grundlage von empirisch fundierten Gestaltungsmerkmalen für Fortbildungen (s. Kap. 2.1) und im Rahmen eines Blended-Learning-Formats (s. Kap. 2.2) ausgestaltet wird. Das Fortbildungsangebot baut auf Materialien zu einem differenzsensiblen, fachlich sowie fachdidaktisch fundierten Mathematikunterrichts auf (s. Kap. 1), die auf der Plattform „Mathe inklusiv mit PIKAS“ (
(1) Durch neu entwickelte Moderationsformate und Planungseinheiten zum inklusiven Mathematikunterricht wurden sechs Präsenzveranstaltungen konzipiert, die eine intensive, reflexive und gemeinsame Nutzung der online verfügbaren Materialien ermöglichen und auf ökonomische Weise die oft geforderten praxisorientierten Hilfen für die in der Inklusion tätigenden Lehrkräfte anbieten (Werning & Arndt,
(2) Durch multiprofessionelle Kooperationsanregungen können sich Fachlehrkräfte der Mathematik, die in der Regel primär in fachlichen und fachdidaktischen Bezügen denken und handeln, sowie Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung, die in der Regel primär vom einzelnen Kind ausgehend denken und handeln, einander neue und ergänzende Sichtweisen und Handlungsoptionen vermitteln (Weiß,
Das Erkenntnisziel des Projekts stellt eine differenzierte, vergleichende Analyse der Effektivität des im Rahmen des vorliegenden Forschungsvorhabens entwickelten Fortbildungsangebots Blended-Learning vs. Online dar, mit dem Ziel, ein datenbasiert evaluiertes und evidenzbasiert Erfolg versprechendes sowie praxiswirksames Fortbildungsangebot zu entwickeln. Der hohe Grad an Flexibilität des Fortbildungsangebots lässt eine Integration der im Vorhaben erarbeiteten Veranstaltungen in andere Maßnahmen und Programme zu. Ebenfalls ist eine Verwendung ausgesuchter Materialien für eine dringend notwendige Ausbildung paraprofessioneller Helfer(-innen), (sog. Integrations- bzw. Inklusionshelfer, Schulassistenten oder Schulbegleiter) möglich (Giangreco et al.
Das Erreichen des Entwicklungs- und Erkenntnisziels soll letztlich dazu beitragen, das vorliegende Fortbildungsangebot sowie im übertragenden Sinne strukturähnliche Fortbildungsangebote in anderen Kontexten für Lehrkräfte unterschiedlicher Professionen kritisch zu beurteilen und Erfolg versprechende Angebote gezielt (weiter) zu entwickeln. Auf diese Weise können Fortbildungsangebote evidenzbasiert erarbeitet, erprobt und revidiert werden, die sich in der Praxis der Aus-, Fort- und Weiterbildung flexibel, effektiv und effizient einsetzen lassen.
Das Vorhaben befasst sich mit der Beantwortung von vier Forschungsfragen. Es verfolgt mit Fragestellung 1 konstruktive Ziele im Sinne einer designorientierten Entwicklungsforschung und mit den Fragestellungen 2 bis 4 analytische Ziele praxisorientierter Evaluationsforschung, die reflexiv betrachtet korrigierend in den Designprozess eingebracht werden.
Zwar konnte das entworfene Fortbildungsangebot auf umfängliche Vorarbeiten zurückgreifen, jedoch ist keineswegs trivial, ob und wie dieses Angebot von den Lehrkräften angenommen wurde. Es ist davon auszugehen, dass das Fortbildungsprogramm positiv aufgenommen wurde und noch wird, weil es die unter Kap. 2.1 ausgearbeiteten Merkmale realisiert und inhaltlich die in Kap. 1 formulierten Basiskompetenzen und Prinzipien aufgreift. Die im Kontext dieser Forschungsfrage untersuchte Annahme bzw. Akzeptanz ist Voraussetzung, um die Zielpersonen effektiv zu erreichen und praxiswirksame Veränderungen zu bewirken. Ob dies gelingt, lässt sich jedoch allein mit Akzeptanzdaten bezüglich des Fortbildungsangebotes nicht beantworten. Daher lautet die zweite Forschungsfrage:
Positive Einstellungen zur Inklusion verbunden mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen sind notwendige, wenngleich nicht hinreichende Voraussetzungen dafür, dass sich Lehrkräfte auf inklusiven Unterricht einlassen. Wir gehen davon aus, dass das Fortbildungsprogramm positive Einstellungsänderungen und Wirksamkeitserwartungen bei den Teilnehmenden angestoßen hat. Zum Wollen muss jedoch das Können kommen, wenn die schulische Praxis innovativ umgestaltet werden soll. Dies führt zur dritten Forschungsfrage:
Analysiert wird, ob die Teilnehmenden didaktisch aufbereitete Lehr- und Lernsituationen, die typisch für inklusiven Mathematikunterricht sind, zunehmend differenzierter analysieren und geeignete Handlungsvorschläge entwickeln. Wir gehen davon aus, dass ein Angebot im Blended-Learning-Format zur Kompetenzentwicklung besser geeignet sein sollte als ein unbegleitetes Online-Angebot, weil es gezielt zu entsprechenden Aktivitäten anregen kann und relevante Problemstellungen in kollegialer Kooperation diskutiert und bearbeitet werden können. Deshalb lautet die vierte Fragestellung:
Während der Entwicklungsgewinn des Vorhabens in der Erarbeitung eines Fortbildungsangebots lag, das im Blended-Learning-Format ausgestaltet wurde und umfangreiche Vorarbeiten in einem innovativen Kontext nutzt, ist der Erkenntnisgewinn des Projekts in der vergleichenden Analyse der Effektivität der Angebote Online vs. Blended-Learning begründet und in der differenzierten Analyse der Auswirkungen auf die Einstellungen zur Inklusion, der Selbstwirksamkeitserwartungen und der adaptiven mathematikdidaktischen Kompetenzentwicklung. Diese Evidenz soll dazu beitragen, Fortbildungsangebote kritisch zu beurteilen, weiter zu entwickeln und Erfolg versprechende Angebote zu erstellen sowie tiefe Einsichten in die Professionalisierungsprozesse der Lehrkräfte zu gewinnen.
Um diese vier Forschungsfragen zu beantworten wurde das im Folgenden vorgestellte Untersuchungsdesign gewählt.
Die Evaluation des Fortbildungsangebots erfolgt in einem Feldexperiment mit zwei Gruppen (A und B). Interventionsgruppe B bildet dabei die Wartekontrollgruppe mit dem unbegleiteten Online-Angebot. Während der Wartephase (vgl. Tab. 2, rechts, unbegleitetes Kursangebot ‚Online‘) setzt sich diese Gruppe B zunächst eigenverantwortlich und unbegleitet mit den Informationen und Materialien (u.a. zu Leitideen für den inklusiven Mathematikunterricht und konzipierten gemeinsamen Lernumgebungen) auf der Plattform „Mathe inklusiv mit PIKAS“ (pikas-mi.dzlm.de) auseinander. In der vorangegangenen Informationsveranstaltung wurden sie über den Aufbau der Plattform informiert und angeregt, sich dort zu informieren und die Informationen und Materialien in ihren Unterricht zu integrieren. Zum selben Zeitpunkt setzt sich die Interventionsgruppe A mit der gleichen Plattform auseinander, jedoch begleitet durch regelmäßige Präsenzveranstaltungen der konzipierten Fortbildung (vgl. Tab. 2, links, Kursangebot ‚Blended-Learning‘). Die Inhalte der Fortbildung (vgl. Kap. 3.4) basieren auf den Informationen und Materialien von „Mathe inklusiv mit PIKAS“ (pikas-mi.dzlm.de). Die Wartekontrollgruppe B wird erst zu einem späteren Zeitpunkt an diesem Kursangebot ‚Blended-Learning‘ teilnehmen.
Die Datenerhebung folgt für beide Interventionsgruppen einem ausbalancierten Prä-Post-Test-Design mit anschließender Follow-up-Messung. Als abhängige Variablen werden die Beurteilung des Kursangebots, die Einstellungen zur Inklusion, die Selbstkompetenzeinschätzung und die adaptive mathematikdidaktische Kompetenz erfasst (s. Tab. 2). Die Effekte der Angebote Online- bzw. Blended-Learning können intra- und interindividuell gemessen werden. Eine additive Verknüpfung von Online-Angebot und Kursangebot im Präsenzstudium lässt sich allerdings nicht vermeiden, weil das Online-Angebot grundsätzlich zur Verfügung steht und von interessierten Personen genutzt werden kann.
Der Prä-Post-Test mit anschließendem Follow-up erfolgt quantitativ mithilfe eines kombinierten, zehnseitigen Fragebogens bestehend aus klassischen Fragebogen-Items mit Likert-Skala (0-5) und offenen Fragestellungen. Durch die Items werden die Einstellungen und die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte mit Blick auf inklusiven Mathematikunterricht erhoben. Es handelt sich um Adaptionen bereits vorhandener Items von Bosse und Spoerer (
Das Fortbildungsangebot GLUE stellt eine innovative Neu- und Weiterentwicklung von Materialien dar, die auf Lernumgebungen im Projekt „Mathe inklusiv mit PIKAS“ aufbauen (
Der gemeinsame,
Im Ganzen umfasst die Intervention eine Fortbildungsreihe von sechs Präsenzveranstaltungen, welche sich in eine Auftaktveranstaltung (7 Std.), vier Präsenzveranstaltungen in Gruppen von 25 Personen (jeweils 3 Std.) sowie einer Abschlussveranstaltung (6 Std.) gliedern. Die Präsenzveranstaltungen arbeiten dabei mit exemplarischen und authentischen Fallvignetten; das sind unterrichtsbezogene Handlungssituationen, die für Fortbildungszwecke didaktisch aufbereitet und auf der Website medial dargestellt werden, damit sie von angehenden oder erfahrenen Lehrkräften durchdacht werden können. Die Vignetten zeigen exemplarisch spezifische adaptive Lernsituationen, in denen die Lehrkräfte in der Fortbildung dazu aufgefordert werden, gemeinsam Probleme zu erkennen, Entscheidungen zu treffen und Handlungen auszuwählen und zu begründen. Sie müssen sowohl das gemeinsame fachliche Lernen aller wie auch die individuelle Förderung einzelner beachten. Auf diese Weise können die Teilnehmenden biografisch orientiert und fallbasiert in den multiprofessionellen Teams aus den Perspektiven der Sonderpädagogik und Grundschule bzw. Sekundarstufe reflexiv ihre fachdidaktischen, fachlichen und pädagogischen Kompetenzen weiterentwickeln.
Jede Sitzung thematisiert einen spezifischen inhaltlichen Schwerpunkt, der einerseits die Einstellungen der Teilnehmenden zum inklusiven Unterricht ansprechen soll, andererseits das pädagogische, fachliche und fachdidaktische Wissen mit konkreten Handlungsaktivitäten zu typischen Lernschwierigkeiten und besonderen Zugängen einzelner Kinder verknüpft. Inhaltlich fokussiert die Fortbildung die mathematischen Basiskompetenzen (s. Kap. 1.1). Der Abstand zwischen den Fortbildungen beträgt ca. vier Wochen und wird verknüpft mit einer Praxisaufgabe, die an die Themen der vorangegangenen Fortbildung anschließt (
In Anlehnung an bereits thematisierte Themenfelder wie beispielsweise ‚das Prinzip der natürlichen Differenzierung‘ und ‚substanzielle Lernumgebungen‘ (vgl. Kap. 1), ist die Fortbildungsreihe inhaltlich wie folgt aufgebaut:
(1) In der Auftaktveranstaltung werden sonderpädagogische und fachdidaktische
(2) Vor dem Hintergrund der inhaltsübergreifenden Themen aus der Auftaktveranstaltung, werden fortan ergänzend zu übergreifenden Leitideen für den inklusiven Mathematikunterricht ebenso mathematisch inhaltliche Themen thematisiert (u. a. der Aufbau von Zielvorstellungen, Operationsvorstellungen und eines Stellenwertverständnisses). Diese mathematischen Inhalte werden stets mit den Leitideen verknüpft, um diese zu konkretisieren. In diesem Sinne liegt der Fokus der zweiten Präsensveranstaltung auf der Entwicklung von tragfähigen
(3) In der dritten Veranstaltung liegt der fachliche Schwerpunkt auf
(4) Der Aufbau von Zahlvorstellungen (vgl. GLUE 2) im erweiterten Zahlenraum basiert ebenso wie das Rechnen im größeren Zahlenraum auf Einsichten in die
(5) Aufbauend auf die vorangegangenen Inhalte, wird in der fünften Veranstaltung das
(6) Die Abschlussveranstaltung legt den Fokus auf Formen der
Zum derzeitigen Zeitpunkt nimmt die Wartekontrollgruppe B an diesem beschriebenen Fortbildungskonzept teil (vgl. Tab. 2, rechts, Kursangebot ‚Blended-Learning‘). Auf Grundlage der bereits durchgeführten Präsenzveranstaltungen kann folgender Ausblick gegeben werden.
Bei Berichtlegung liegen noch keine publikationsfähigen Evaluationsdaten vor, aber informelle Rückmeldungen von Lehrerinnen und Lehrern in Interventionsgruppe A lassen hoffen, dass es gelungen sein könnte, auf der Basis der online verfügbaren Materialien von „Mathe inklusiv mit PIKAS“ ein Fortbildungsangebot zu entwickeln, das von berufserfahrenen Lehrkräften angenommen wird und einige Vorteile von Fern- und Präsenzstudium verbindet. Ob es überlegene Effekte verspricht und ob sich die Einstellungen zur Inklusion, die Selbstwirksamkeitserwartungen in Bezug auf inklusiven Mathematikunterricht und die adaptiven mathematikdidaktischen Kompetenzen der teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer ändern, müssen die Evaluationsdaten zeigen, über die zu gegebener Zeit in einer Folgepublikation zu berichten sein wird.