Die Qualifizierung von Sportlehrkräften für einen inklusiven Sportunterricht stellt eine zentrale Herausforderung für die sportdidaktische Lehre und Forschung dar. Obwohl die Bedeutung situationsspezifischer Fähigkeiten für die universitäre Sportlehrkräftebildung auch im Zusammenhang mit einem inklusiven Sportunterricht betont wird, fehlt es an Kompetenzmodellen, die die Ebene der situationsspezifischen Fähigkeiten berücksichtigen und somit eine Grundlage für Lehrkonzepte bilden können, die auf die Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht abzielen. Zudem mangelt es bestehenden Lehrkonzepten auch an Arbeits- und Organisationsformen, um gezielt situationsspezifische Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht anzusprechen. Schließlich existieren bisher keine Testverfahren, mit denen situationsspezifische Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht gemessen und darauf abzielende Lehrkonzepte evaluiert werden können. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es demzufolge, konzeptionelle Überlegungen anzustellen, wie ein Kompetenzmodell für den inklusiven Sportunterricht generiert werden kann, welches die Ebene der situationsspezifischen Fähigkeiten berücksichtigt, wie ein Lehrformat angelegt sein müsste, um gezielt die situationsspezifischen Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht anzusprechen und wie diese situationsspezifischen Fähigkeiten gemessen werden können, um eine diesbezügliche Evaluation zu ermöglichen.
Qualifying physical education (PE) teachers for inclusive physical education poses a central challenge for the didactic approach of teaching and researching PE. Although the importance of situation-specific skills for pre-service PE teacher education is emphasized in the context of inclusive PE, there is neither an existing model of competencies that takes into account the level of situation-specific skills, nor a concept for corresponding pre-service PE teacher education that aims to promote situation-specific skills for inclusive PE. Finally, there is a lack of instruments that can be used to measure situation-specific skills for inclusive physical education and to evaluate respective teaching concepts. Therefore, the aim of this paper is to provide concepttual considerations on how to generate a model of competencies for inclusive PE that takes into account the level of situation-specific skills, how a teaching format should be designed to address situation-specific skills for inclusive PE, and how these situation-specific skills can be measured in order to facilitate evaluation.
Im aktuellen professionstheoretischen Diskurs wird die Bedeutung von situationsspezifischen Fähigkeiten als zentrales Verbindungsglied zwischen den Einstellungen und Wissensbeständen der Lehrkräfte und ihren kohärenten unterrichtlichen Handlungsweisen herausgestellt (vgl. auch Blömeke, Gustafsson, & Shavelson,
(1) Wie können situationsspezifische Fähigkeiten als Teil professioneller Kompetenzen für einen inklusiven Sportunterricht ermittelt werden?
(2) Wie kann ein Lehrkonzept gestaltet sein, welches systematisch auf die Herausbildung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht abzielt?
(3) Wie können situationsspezifische Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht gemessen und somit einer Evaluation zugänglich gemacht werden?
Für die Ermittlung situationsspezifischer Fähigkeiten wird ein geeignetes Metakonzept benötigt, welches diese in eine Beziehung zu anderen Ebenen professioneller Kompetenz setzt und eine Bezugnahme auf unterrichtliche Anforderungssituationen erlaubt. Zudem bedarf es eines Verfahrens, mit dem situationsspezifische Fähigkeiten als Teil professioneller Kompetenz für einen inklusiven Sportunterricht modelliert werden können.
Als professionelle Kompetenzen von Lehrkräften werden die Fähigkeiten bezeichnet, die notwendig sind um spezifische berufliche Anforderungen unter variablen Bedingungen zu bewältigen (Blömeke, Gustafsson, & Shavelson,
Dem beschriebenen Verständnis folgend sollte die Modellierung professioneller Kompetenzen somit auf einer differenzierten Analyse der spezifischen Anforderungen basieren, welche von den Lehrkräften im Kontext eines inklusiven Sportunterrichts bewältigt werden müssen (vgl. Baumgartner,
Den ersten Schritt bildet die Bestimmung des Gegenstandsbereichs, für den professionelle Kompetenzen bzw. situationsspezifische Fähigkeiten modelliert werden sollen (Erhorn et al.,
Neben den beschriebenen Unterschieden besteht zwischen den verschiedenen Positionen, vor allem im Hinblick auf die Formulierung grundlegender Ansprüche an einen inklusiven Sportunterricht, durchaus Einvernehmen. Den Verständnissen ist z. B. gemeinsam, dass in der Regel der
Da die Modellierung situationsspezifischer Fähigkeiten nicht nur auf der Grundlage bestehender Theorien und Konzepte, sondern auch auf der Basis einer empirischen Analyse relevanter sportunterrichtlicher Anforderungssituationen erfolgen soll, muss eine Erhebung adäquaten empirischen Datenmaterials zum bestimmten Gegenstandsbereich erfolgen (Erhorn et al.,
Hierfür bietet sich der Einsatz videografischer Erhebungsmethoden an, da mit ihnen sichtbare Interaktionen, Bewegungen, Gestik und Mimik im direkten Situationsbezug analysiert werden können (vgl. Dinkelaker,
Für die empirische Analyse des komplexen Zusammenwirkens von Performanz, situationsspezifischen Fähigkeiten und Dispositionen im situativen Kontext ist eine Ergänzung des videografischen Verfahrens durch die Befragungen von zentralen Akteur*innen in sportunterrichtlichen Anforderungssituationen empfehlenswert. So lassen sich mittels Befragungen Erlebnisweisen, Bedeutungszuschreibungen, handlungsleitende Erfahrungen und subjektive Theorien erfassen, die wichtige Informationen über handlungsleitende Einstellungen und Wissensbestände sowie über situationsspezifische Fähigkeiten der Akteur*innen liefern und über Beobachtungen nur eingeschränkt zugänglich sind (vgl. Erhorn & Krieger,
Für die Datenerhebung besitzt zudem eine adäquate Samplingstrategie eine hohe Bedeutung (Kelle & Kluge,
Im Sinne des Metakonzepts von Blömeke, Gustafsson und Shavelson (
Auf dieser Interpretation aufbauend kann der Versuch unternommen werden, auf die hinter diesen Handlungsweisen stehenden situationsspezifischen Fähigkeiten der Lehrkraft zu schließen. Dabei wird untersucht, auf welche situativ wahrgenommenen Aspekte des unterrichtlichen Geschehens sich die Lehrkraft mit ihren Handlungen bezieht und wie sie diese Aspekte gedeutet hat. Dabei ist es hilfreich, sich als Gegenhorizont zu vergegenwärtigen, welche Aspekte nicht in den Fokus der Wahrnehmung gerückt sind und welche alternativen Deutungsmuster bei der Lehrkraft nicht handlungsleitend waren.
Mit Blick auf spätere hochschuldidaktische Lehrkonzepte und dem Verständnis von Kompetenz als Kontinuum ist es empfehlenswert, anschließend die hinter den situationsspezifischen Fähigkeiten und den situationsbezogenen Handlungsweisen stehenden Dispositionen zu erschließen. Dies geschieht, indem eruiert wird, welche Einstellungen und Wissensbestände den Horizont für die situativen Wahrnehmungen, Interpretationen und Handlungsentscheidungen der Lehrkraft gebildet haben und welche alternativen Einstellungen und Wissensbestände nicht vorhanden waren oder nicht zur Anwendung kamen. Da sich situationsspezifische Fähigkeiten und dahinterstehende Wissensbestände und Einstellungen nur schwerlich direkt aus den Handlungen der Lehrkraft erschließen lassen, sind insbesondere die aus den Video-Stimulated-Recall Interviews gewonnenen Informationen für die Interpretation des videografischen Datenmaterials von Bedeutung, da sie für spezifische Lesarten sensibilisieren, diese absichern oder aber zu einer Verwerfung dieser führen können.
Um zu verhindern, dass die Kompetenzmodellierung eines inklusiven Sportunterrichts ausschließlich auf der Grundlage des Ist-Zustandes erfolgt und somit das Sein ungebrochen zum Sollen erklärt wird, sollten die Anforderungssituationen zudem einer normativ-reflexiven Auslegung unterzogen werden (vgl. Erhorn et al.,
Die auf diese Art und Weise im Datenmaterial identifizierten und analysierten Anforderungssituationen können zunächst nur als Einzelfälle von Anforderungssituationen im Kontext eines inklusiven Sportunterrichts gelten. Durch einen Prozess von Fallvergleich und Fallkontrastierung kann im Anschluss eine Typologie von Anforderungssituationen und zugehörigen Teilanforderungen für einen inklusiven Sportunterricht erstellt werden (vgl. Kelle & Kluge,
Zwar wird die Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht im Kontext universitärer Lehrveranstaltungen bereits gefordert (vgl. Reuker,
Die Frage, mithilfe welcher Fälle die situationsspezifischen Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht besonders effektiv gefördert werden können, ist von zentraler Bedeutung. An dieser Stelle werden konzeptionelle Überlegungen angestellt, die in einem weiteren Schritt empirisch abgesichert werden müssen.
Wernet (
Eine weitere hilfreiche Unterscheidung ist die zwischen einer
Weitere Differenzen bei der Fallauswahl ergeben sich aus der Qualität des im Rahmen der Fälle auftretenden pädagogischen Handelns der Sportlehrkraft. Mit Gelingensfällen können positive Orientierungspunkte für die Studierenden gesetzt werden, während Misslingensfälle eher geeignet erscheinen, um Fallstricke und typische Fehler aufzuzeigen (vgl. Buddeberg et al.,
Für die fallbasierte Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht müssen methodisch-didaktische Entscheidungen hinsichtlich der Arbeits- und Organisationsformen, der Auswertungsverfahren sowie der Form der Darbietung von Fällen getroffen werden. Auch an dieser Stelle werden konzeptionelle Überlegungen angestellt, die nachgängig einer empirischen Überprüfung bedürfen.
Im Kontext von Seminaren oder seminarähnlichen Lehrformaten bieten sich für eine Fallbearbeitung kooperative Formen der Gruppen- oder Partnerarbeit, Einzelarbeit oder Mischformen des „Think Pair Share“ an (vgl. u. a. Digel,
Entscheidungen müssen auch im Hinblick auf den Grad der Lenkung getroffen werden. So kann die Lehrperson durch Instruktionen, gezielte Fragestellungen, die Vorgabe von Theorien und Perspektiven oder durch eine enge Begleitung der Arbeitsphasen in hohem Maße steuernd eingreifen (Krammer,
Für die Fallauswertung liegen zwar unterschiedliche Verfahren vor (u. a. Erhorn,
Das von Wernet (
Die zu bearbeitenden Fälle können den Studierenden in unterschiedlicher Gestalt dargeboten werden. Während einige Autoren die Arbeit an knappen Situationsbeschreibungen empfehlen (vgl. Scherler,
Um die Wirksamkeit von Lehrformaten zur Vermittlung situationsspezifischer Fähigkeiten überprüfen zu können, werden geeignete Testverfahren benötigt. Bisher liegt jedoch noch kein Instrument vor, mit dem situationsspezifische Fähigkeiten von (angehenden) Sportlehrkräften für einen inklusiven Sportunterricht erfasst und die Wirksamkeit von Lehrformaten geprüft werden könnte. Im Folgenden werden Überlegungen zur Anlage und zu zentralen Schritten der Entwicklung eines geeigneten Instruments angestellt.
Häufig werden professionelle Kompetenzen durch Selbstbeurteilung erhoben. Verfahren dieser Art sind in der Entwicklung und Durchführung vergleichsweise ökonomisch und weisen eine hohe Reliabilität auf. Für den Bereich des inklusiven Sportunterrichts liegen auf Selbstbeurteilung basierende Verfahren für die Messung von Einstellungen und Wissensbeständen vor (vgl. u. a. Meier, Ruin, & Leineweber,
Kompetenzen so zu operationalisieren, dass sie sich und ihre Veränderungen im Entwicklungs- bzw. Lernprozess quantitativ und damit reliabel sowie valide erfassen lassen, setzt einen systematischen und vernetzten Konstruktions- sowie empirischen Erprobungs- und Reflexionsprozess voraus (Eggert & Bögeholz,
Für die Testentwicklung bedarf es zunächst der Überführung der zu erfassenden Kompetenzen in theoretisch und empirisch fundierte Kompetenzkonstrukte, um eine nachvollziehbare inhaltliche Vorstellung zu ermöglichen (Klieme & Leutner,
In einem nächsten Schritt der Testentwicklung müssen die theoretischen Konstrukte in ihren jeweiligen interindividuellen Graduierungen auf eine kontinuierliche Skala mit verschiedenen Niveaustufen übertragen werden (vgl. Wilson,
Bei der Anlage der unterschiedlichen Niveaustufen sollte zudem berücksichtigt werden, dass in dieser Kompetenzstruktur unerfahrene Personen mit einer unfokussierten Betrachtung eher auf der Ebene willkürlichen Beschreibens verbleiben, wohingegen mit zunehmender Erfahrung Unterrichtsverläufe in übergeordnete Sinneinheiten strukturiert, komplexere Zusammenhänge erkannt und infolgedessen adäquate wissensbasierte Erklärungen und Bewertungen getroffen werden können (Berliner,
Auf der Grundlage der Schärfung und Operationalisierung des Konstrukts können nun Aufgaben entwickelt werden, die darauf abzielen, das theoretische Konstrukt in seinen Abstufungen angemessen abzubilden (vgl. Wilson,
Ziel des vorgestellten Instruments ist die Messung der situationsspezifischen Fähigkeit des
Obwohl die Bedeutsamkeit situationsspezifischer Fähigkeiten für ein erfolgreiches unterrichtliches Handeln vielfach herausgestellt wird, stehen Konzepte für die Vermittlung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht noch am Anfang. Zum einen fehlt es an Kompetenzmodellen, welche die benötigten situationsspezifischen Fähigkeiten ausweisen, zum anderen fehlt es an Konzepten für Lehrveranstaltungen zur Vermittlung sowie an Instrumenten zur Evaluation von situationsspezifischen Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht (vgl. Erhorn et al.,
Für die Generierung eines Kompetenzmodells für den inklusiven Sportunterricht, welches auch situationsspezifische Fähigkeiten berücksichtigt, konnte herausgearbeitet werden, dass die Modellierung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht auf einem Metakonzept basieren sollte, welches Kompetenz als Kontinuum versteht. Für die Modellierung empfiehlt sich eine sowohl theoretische als auch empirische Analyse der spezifischen Anforderungen, welche von den Lehrkräften im Kontext eines inklusiven Sportunterrichts bewältigt werden müssen (vgl. Baumgartner,
Im Hinblick auf mögliche Lehrkonzepte zur Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht konnte das besondere Potenzial einer (videografischen) Fallarbeit herausgestellt werden. In Bezug auf die Fallauswahl wurden konzeptionelle Überlegungen im Hinblick auf den kasuistischen Zugang, die Frage der Fallauswahl sowie auf die Qualität des im Rahmen der Fälle auftretenden pädagogischen Sportlehrkräftehandeln angestellt. Dabei konnten für die Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten Vorzüge im Zugang über die auf das pädagogische Handeln fokussierende (akteursorientierte) Kasuistik sowie in der systematisch vorbereiteten bzw. angeleiteten Fallauswahl durch Studierende nach dem Prinzip vom Einfachen zum Komplexen herausgestellt werden. Um die Wirksamkeit videobasierter Fallarbeit weiter positiv zu unterstützen, muss neben der Passung der Fallauswahl auch das Lernsetting zur Fallbearbeitung genauer betrachtet werden. Hier empfiehlt sich als Lernsituation eine Form, welche die Vorteile der Bearbeitung in gemeinsamer mündlicher Diskussion und individueller Analyse in Schriftform kombiniert. Für die systematische Strukturierung einer solchen Fallbearbeitung an Anforderungssituationen inklusiven Sportunterrichts lässt sich das Auswertungsverfahren nach Erhorn (
Für die Messung situationsspezifischer Fähigkeiten für einen inklusiven Sportunterricht in hochschuldidaktischen Lehrveranstaltungen konnte herausgestellt werden, dass sich in bereits vorliegenden Messverfahren zur situierten bzw. kontextualisierten Erfassung situationsspezifischer Fähigkeiten der Einsatz von fallbezogenen Videostimuli bewährt hat und zudem die Möglichkeit einer interventionsangepassten Wirksamkeitsüberprüfung bietet. Für die Entwicklung eines solchen videobasierten Testinstruments wurde ein systematisches Vorgehen in mehreren Schritten und orientiert an der rationalen Methode (vgl. Eid & Schmidt,
Die im Artikel angestellten Überlegungen und Annahmen sind bisher nur zum Teil durch empirische Studien abgesichert. Sie sollten daher zukünftig praktisch umgesetzt, empirisch geprüft und die Ansätze auf dieser Grundlage konzeptionell weiterentwickelt werden.
Im sportdidaktischen Professionalisierungsdiskurs wird professionelle Kompetenz bisher nur ansatzweise als Kontinuum untersucht. Dies gilt bisher auch für vorliegende nationale und internationale kompetenzorientierte Beiträge, die sich auf die Bewältigung von spezifischen Anforderungen eines inklusiven Sportunterrichts beziehen (vgl. Erhorn et al.,
Das Konstrukt des Kompetenzprofils Oser (
Scherler (
Für die Auswahl von Fallbeispielen als Stimuli empfiehlt sich ein mehrstufiges Expert*innenverfahren (vgl. u. a. Seidel, Blomberg & Stürmer,